Re: Forums-Anthologie (Lyrisches)

#1360351  | PERMALINK

dr-nihil

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 15,356

zitiere das andere mit der krebsbaracke auch mal.
ich kenne beide nicht.
(wieso eigentlich nicht?)

Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, aber was ich machen kann, ist noch zwei weitere Gedicht aus Benns „Morgue“ hier reinzustellen um vielleicht ein besseres Bild dieses eigentlich recht bekannten Gedichtbandes zu vermitteln:

Noch um einiges perverser als „Kleine Aster“ mutet eben die „Krebsbaracke“ an. Wie ich damals auch in der Schule lernte, ist „Morgue“ auch Protest gegen das damals herrschende mechanische Menschenbild. Das im folgenden beschriebene „Fleischliche“ (oder wie man es nennen mag) wird durchaus mit Pathos angereichert (Pathos ist vielleicht auch nicht ganz der richtige Ausdruck hier – möglicherweise ist es eine gewisse abstoßende Erotik), was dem ganzen, wie ich finde, einen faszinierenden Reiz gibt – ekelhaft ist es trotzdem:

Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke
von Gottfried Benn

Der Mann:
Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
und diese Reihe ist zerfallene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.

Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
das war einst irgendeinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat.

Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.

Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Mensch hat so viel Blut.
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.

Man lässt sie schlafen. Tag und Nacht. – Den Neuen
sagt man: Hier schläft man sich gesund. – Nur Sonntags
für den Besuch lässt man sie etwas wacher.

Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.

Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort.
Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.

Eine mehr zynische Haltung gibt das nächste Gedicht aus dem selben Band wieder. Hier schien Benn durchaus seinen Spaß gehabt zu haben:

Schöne Jugend
von Gottfried Benn

Der Mund eines Mädchen, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

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