Re: Charles Mingus

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gypsy-tail-wind
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Oh, an Begeisterung soll es nie mangeln – auch wenn ich manchmal harsche Worte finde (für Sanders, für Alice Coltrane, für Rashied Ali – es gab sicher noch ein paar weitere Fälle [Wynton und seine Make-Believers lasse ich hier mal weg]), dann ist das wohl eher sowas wie enttäuschte Liebe als wirkliche Ablehnung. Den Fehler immer nur bei sich selbst zu suchen bringt wohl nicht viel weiter im Leben, aber die Option, dass er da liegen könnte, im Hinterkopf zu behalten, versuche ich immer. Manches „geht“ halt einfach nicht (David S. Ware etwa … wobei der mir neulich auf zwei Alben mit Andrew Cyrille ganz hervorragend gefiel – so werden Gewissheiten umgestürzt). Meine Vorstellung ist eine Art entgrenzte, allumfassende Liebe – und da wundere ich mich dann halt mal, wie gering sich hier das Interesse mancher Leute, die Jazz hören, an altem Jazz hält … ohne mit dem Finger zeigen zu wollen, aber ich werde nie begreifen, dass man – wenn man sagen wir an Mingus und Roach und Dolphy einen Narren gefressen hat – nicht herausfinden will, was vor ihnen war: Ellington, Krupa, Charlie Parker … und dann weiter zu Armstrong, Bechet, Jelly Roll, zu Baby Dodds und wem weiss ich … für mich das normalste in der Welt, die Neugierde trägt mich seit ich bewusst anfing, Musik zu hören (ich denke so mit 10 oder 11 – Dylan stand am Anfang) in die spannendsten und faszinierendsten Gefilde (und auch in manche Sackgasse, manchen Hinterhof, die ich aber – wenigstens im Jazz – durchaus mit Genuss und Gewinn auslote).

Die Handvoll ist: Coltrane, Miles, Mingus, Monk, Dolphy … dazu ein paar frühverstorbene oder frühverstummte Hardbopper (Hank Mobley, Kenny Dorham, Sonny Clark) und ein paar weitere mit eher kleinem Werk (Grant Green, Lee Morgan). Ansonsten habe ich auch bei Leuten wie Ornette, Roach, Taylor oder Ellington, die ich früh zu hören anfing, noch diverse Lücken, bei vielen Musikern beschränkt sich mein „umfassendes“ Wissen auf die Zeit, als die Sache noch einigermassen übersichtlich war (also bis Mitte/Ende der Sechziger), als es Label gab, denen man heute noch folgen kann (wobei es z.B. im Riverside-Katalog gewiss diverse Dinge gibt, von denen ich nicht mal weiss, dass es sie gibt). Bei anderen kenne ich erst seit jüngerer Zeit (beinah) das ganze Werk (Art Pepper etwa, aber da habe ich noch Lücken), Andrew Hill.

Aber der Enthusiasmus muss sein, das ist klar – ohne geht nicht!

Mingus war nicht der erste, an dem ich mich festbiss, da waren zuerst Miles, Coltrane und Cannonball (von dem ich aber bis heute auch noch einiges nicht kenne – eigentlich unverzeihlich, ich muss mich darum mal kümmern!) … bei Monk und Mingus dauerte es etwas länger, bis sich ihre Musik mir öffnete. Aber von beiden (wie auch von Miles, Coltrane und Ornette) kaufte ich mir diese Oreos-Bände („Sein Leben, Seine Musik, Seine Schallplatten“ oder so ähnlich) und verschaffte mir so einen Überblick, Allmusic wurde von hinten nach vorn durchforscht, dann stiess ich über das Forum der Blue Note Seite (dem Norah Jones den Rest gab, wenn man so will) auf das Organissimo-Forum, in dem dieser Enthusiasmus oft auch sprüht … ich war da allerdings schon längst Sammler von Mosaic-Sets (die Mingus Candid-Box wäre damals ein grosser Traum gewesen, aber ich sammelte dann halt die einzelnen CDs) und hatte schon gewisse klar herauskristallisierte Interessen. Das schöne an den Foren finde ich, dass man zu praktisch jedem Album von jedem Musiker jemand findet, der es einem empfiehlt oder wenigstens ein gutes Wort einlegt – lustig z.B. der Thread auf Organissimo zu Red Garlands gefühlten 95 Alben als Leader … jemand bittet um ein paar Empfehlungen, ein paar Stunden später ist praktisch die ganze Diskographie erwähnt … so soll es sein, so gefällt es mir … natürlich ist das nicht einfach, wenn man nicht alles haben will – kann man ja gar nicht … aber Mingus war bei mir ein Musiker, von dem ich ziemlich bald mal wenigstens alles von ca. 1955 bis 1965 haben musste (von den späten Alben kenne ich manche übrigens bis heute kaum, die beiden „Changes“ z.B. haben mich nie so richtig gepackt, ich mag sie schon ganz gerne, aber höre sie selten – das mag sich mal ändern, aber na ja … irgendwann war ich bei Mingus an dem Punkt, als ich einfach alles haben wollte, was ich finden konnte. Da hilft dann öfter auch mal der Zufall mit (z.B. bei der – nicht wirklich guten – Denon-CD „Charles Mingus with Orchestra“ von 1971, die ich vor ein paar Jahren mal kaufen konnte).

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