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In diesem Beitrag stecken soviele Aspekte, die man ansprechen müsste, da ist es schwer, irgendwo anzufangen.
Du wolltest vermutlich Bitches Brew nicht mit Black Saint vergleichen, die Unterschiede sind ja gewaltig. BB ist eine Soundcollage, Black Saint ein geschlossenes, aber unglaublich vielfältiges Epos, das meines Erachtens formal und thematisch mehr mit den Großwerken von Duke Ellington (beispielsweise Black, Brown & Beige) zu tun hat als mit Miles. Mingus verwendet auf Black Saint eine Grundstruktur von Themen und entwickelt daraus Improvisationen bzw. verschiedene kompositorische Elemente. BB hingegen ist open-ended, Anfang und Ende sind Ergebnis der Produktion und nicht der Performances.
Ah Um wiederum ist hingegen ein fabelfaftes, aber ziemlich konventionelles Jazzalbum, es nimmt sich weitaus weniger Freiheiten in Bezug auf Struktur und Form. Die 4 Jahre, die zwischen den Alben liegen, waren nun einmal ereignisreich.
Sicher, Black Saint ist „komponiert“. Es ist nicht so überbordend und wild wie „Ascension“ und nicht so herausfordend und chaotisch wie „Free Jazz“, aber es teilt mit ihnen den exstatischen Ausdruck, der sich bei Mingus allerdings in einer klaren Struktur manifestiert. Die Rhythmen, das Tempo, der Einsatz der Instrumente sind alle kunstvoll und ausdrucksstark aufeinander abgestimmt. Angesichts der vielen wunderbaren Details, die dieses Album bereithält, verstehe ich nicht ganz, dass Du es als „zu wirkungsvoll, zu absichtlich, ja, letztlich zu einfach“ empfindest. Gerade „einfach“ ist hier gar nichts.
Der Prog-Vergleich macht mich etwas ratlos. Nun ja, vielleicht beziehst Du Dich auf Mingus Aussagen, Jazz sei die klassische Musik der Afro-Amerikaner. Allerdings kann man Mingus nicht vorwerfen, was man dem Prog-Rock vorwirft, nämlich dass seelenlose Virtuosität über emotionaler Tiefe stünde. Das Werk ist fast schmerzhaft emotional, so als wollte Mingus eine Verbindung zwischen seinen persönlichen Leiden und denen der Afro-Amerikaner oder vielleicht sogar der Menschheit schaffen. Black Saint ist Mingus Dialog mit der Welt oder vielleicht besser eine Ansprache an die Menschheit und als solche Ausdruck von Verbundenheit und Isolation zugleich.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.