Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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gypsy-tail-wind
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Teddy Wilson – Columbia Presents Teddy Wilson | Ich habe leider bisher nichts gefunden, wo irgendwer wagt, die erste Piano-Trio-Session zu benennen … aber ich wäre echt überrascht, wenn es vor diesem (halben) Trio-Album (vier 78rpm 10″-Schellack-Platten, acht Stücke, je vier Trio- und vier Solo-Stücke – eins von letzteren, „These Foolish Things“, von einer späteren Session im Januar 1942) schon ein anderes in dem Format gäbe. Am 7. April 1941 nahm Teddy Wilson in Chicago eine Solo-Version von „Smoke Gets In Your Eyes“ auf (von irgendwo musste Monk ja diese Repertoire-Tipps haben), und dann vier Takes von „Rosetta“ im Trio mit der Rhythmusgruppe seiner Band, Al Hall am Kontrabass und J. C. Heard am Schlagzeug. Am 11. April war Wilson wieder im Studio – und das ist dann wohl die erste, wirklich ausgiebig dokumentierte (Solo- und) Piano-Trio-Session des Jazz: 33 Takes (darunter ein paar Breakdowns und ein paar mit Warm-Ups oder Rehearsals davor) sind Teil der 7-CD-Box „Classic Brunswick and Columbia Teddy Wilson Sessions 1934-1942“, die 2017 von Mosaic herausgebracht wurde. Loren Schoenberg, der die Liner Notes geschrieben hat, äussert sich leider nicht spezifisch zum Format der Session. Bill Savory war der „wizard“, der – selbst ausgebildeter Pianist – für die Technik besorgt war und dabei neue Wege ging (Mosaic hat auch eine Box mit Bändern aus seiner Sammlung herausgebracht, die oft wirklich hervorragend klingen). Savory hatte Wilson 1937 kennengelernt und sich mit ihm angefreundet – er hatte in Chicago ein Studio für Columbia eröffnet und der junge Mann sei „a budding genius of acoustics“ gewesen, so Schoenberg.

Die eineinhalb CDs mit den 33 Tracks vom 11. April gehen mit dreieinhalb Minuten Probe und Diskussion von Wilson und Savory los, sei sprechen über Repertoire, Wilson stimmt ein paar Stücke an – alles maximal entspannt und freundschaftlich. Dann spielen die drei nochmal „Rosetta“, Soundcheck für Savory – das Stück erschien, wie einige der Takes, erstmals in der Mosaic-Box, aber einiges vieles anderes, was damals nicht erschienen ist, landete 1981 auf dem von Henri Renaud herausgegebenen französischen Tripel-Album „The Complete Teddy Wilson Piano Solos“, das 1991 auch als Doppel-CD wieder herauskam. Die erste Hälfte davon gehört Solo-Aufnahmen, von denen Wilson vor allem 1934-36 viele für Columbia machte, die letzte war dann eben „Smoke Gets in Your Eyes“. Von den Trio-Aufnahmen sind immerhin ca. 20 auf dem Tripel- bzw. Doppelalbum zu finden. Die 33 Takes sind nach dem Warm-Up/Re-Take von „Rosetta“ gerade mal sieben Stücken gewidmet: „I Know That You Know“ (ein Rehearsal und zwei Takes), „Love Me or Leave Me“ (zwei Takes, kein Master, nicht auf dem Album), „Them There Eyes“ (drei Takes), „China Boy“ (eine Probe und sieben Takes), „I Surrender Dear“ (ab hier ist Wilson wieder solo; zehn Takes, aber keinen echten Master, das Stück war nicht auf dem Originalalbum), „Body and Soul“ (zwei Takes) und „I Can’t Get Started“ (drei Takes).

In der Form, auf drei CDs verteilt (die Session vom 7. April am Ende der fünften der Mosaic-Box, die Session vom 11. ist so lang, dass die ganze CD 6 nicht ausreicht, die letzten acht Stücke folgen auf CD 7) ist das zum Hören natürlich eine Herausforderung. Besonders, weil Wilsons Spiel so toll ist, dass fast in jedem Take etwas aussergewöhnliches geschieht. Eine besonders gelungene Modulation, kontrapunktisches Spiel, dass an seine frühe Beschäftigung mit Bach erinnert, kristallklare Phrasen wie sie sein Vorbild Earl Hines gestaltete, ein synkopischer Flow wie bei einem anderen Vorbild, Fats Waller, scheinbar freie Bewegungen und assoziatives, Phrase für Phrase sich logisch entwickelndes Spiel, das aber nie die Strukturen der Stücke verlässt, auf- und abspringende Läufe, die einen schwindlig machen können und die Lücke zwischen Waller und Hazel Scott schliessen, inspiriertes Single-Notes-Spiel … Loren Schoenberg beschreibt manches in den Liner Notes technisch so detailliert, dass ich nicht überall folgen kann. Heisst ich verbringe damit einfach einen äusserst bereichernden Sonntagnachmittag und staune über die Eleganz und den Flow von Wilson.

Und das Trio? Wir sind im Jahr 1941, der Bass walkt, die Drums sind unaufdringlich – das ist natürlich alles noch ziemlich basic, ein paar Extra-Schläge oder Akzente von Heard, der in der Regel mit Besen spielt, da und dort etwas mehr Punch von Hall, der im Gegensatz zum Leader am Klavier nah an den Changes bleibt. Im rasenden Tempo der Takes von „China Boy“ – inzwischen ist Wilson jeden Augenblick fokussiert – schalten Hall und Heard ein paar Gänge hoch … und „hold on for dear life“ (Schoenberg) im Take 6, wo Wilson am Ende eine Modulation an die andere hängt. Was man hier auch zu hören kriegt ist, wie Motive und Ideen wiederholt und verfeinert werden, wie neue Riffs auftauchen, wie das ganze sich auf einer gegebenen Grundlage aus Ideen und Riffs immer wieder neu zusammensetzt, Wilson quasi (ich leihe mir die passende Metapher von Schoenberg) dieselben Karten immer wieder neu mischt, wie sich mit der Zeit ausgearbeitete Chorusse immer wieder mit neuen, spontan improvisierten abwechseln.

Schoenberg zeigt auch Parallelen zu Monk auf – der nur fünf Jahre jünger als Wilson war. Nämlich, wenn Wilson manchmal fast gleichmässige Achtel mit starken Akzenten spielt, nicht synkopischen Swing wie damals noch üblich. Und Schoenberg betont neben der schlicht überragenden Beherrschung des Instruments – „He has the ability to gradate the volume and sound of each hand at will“ – den unverwechselbare „Touch“, wie er es beherrsche, „to play with the greatest intensity without losing a glowing, restrained sound from the keyboard. This is where hank Jones, John Lewis, Tommy Flanagan, Ahmad Jamal, the early McCoy Tyner, Fred Hersch, Bill Charlap, Aaron Diehl and others have taken their cues.“ – point taken. Ein Detail, dessen Wichtigkeit Schoenberg betont: von den allesamt umwerfenden zehn Takes von „I Surrender Dear“ hat Wilson gerade jenen für die frz. Box ausgewählt, in dem er sich einen Moment der Unsicherheit gönnt (ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, einen Fehler zu hören): „the only take that has what sounds clearly like an error, from which Wilson extricates himself after a brief struggle (first measures of the second chorus), was the one he chose to issue. For an artist who placed so much an emphasis on an outer sheen of perfection – it’s quite significant.“

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