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Dodo Marmarosa Trio – Piano Moods | Zurück ins Jahr 1947, als sich am 3. Dezember (oder vielleichht doch eher am 12. November, man weiss es nicht so genau) im C. P. MacGregor Studio in Hollywood ein bemerkenswertes Trio einfand. Dodo Marmarosa hatte schon Aufnahmen im damals geläufigen p/g/b-Format gemacht (eine Single mit Barney Kessel/Gene Englund, 1947), und bei einer Session mit Lucky Thompson bereits zwei Trio-Stücke eingespielt (Ray Brown, Jackie Mills, 1946). Doch jetzt wollte er etwas neues ausprobieren und hatte Harry Babasin am Cello sowie Jackie Mills am Schlagzeug dabei. Das Trio – mit Babasin am Bass – bildete damals die Rhythmusgruppe der Band von Boyd Raeburn und ist bestens aufeinander abgestimmt. Das Cello übernimmt – ganz normal, möchte man schreiben – den Bass-Part, das ist also absolut ein Klaviertrio, wie es hier Thema ist … doch ganz normal ist das denn doch nicht, denn in diesem Trio gibt es, vielleicht gerade durch das Cello ausgelöst, Interaktion und dichtes Zusammenspiel, wie man es noch Jahre später in dem Format oft vergebens sucht. Babasin hat eine ähnliche Präsenz und Beweglichkeit, wie sie damals höchstens ein anderer Bassist, der auch gerne Cello spielte, hatte: Oscar Pettiford. Klar spielt Marmarosa genau so ein dichtes, überschwängliches Klavier, dass er eigentlich gar keine Begleiter braucht – die in aller Dichte nehmen die sich ihren Platz, nicht unbedingt solistisch, aber da und dort in die Arrangements eingebunden mit begleiten Drum-Soli und sowas, anderswo kriegt das Cello eine solistische Rolle, wie sie sich Mingus dann in „Body and Soul“ mit Spaulding Givens nehmen würde (noch ein Bassist, der das Cello mochte, aber von anderen spielen liess) … wirklich faszinierend, wieder mal zu hören, was da alles abgeht!
Fünf Stücke in insgesamt elf Takes gibt es (einmal drei Takes, von den vier anderen je zwei). Welches die Master Takes sind, ist nie so klar, da auf der Single und späteren Dial-Ausgaben wie der LP oben nicht dieselben veröffentlicht wurden. Alle fünf Stücke sind auf der LP, und sie wurde aufgefüllt mit der klassischen Einspielung von „Ornithology“, wo man Marmarosa hören kann, wie er Charlie Parker mit Akkorden „füttert“. Und dazu kommen – rätselhaft – noch zwei Solo-Stücke (glaub ich) von Erroll Garner (von einer Dial-Session in Pasadena Ende April 1947). Welche Takes wo erschienen sind, ist nicht so leicht zu rekonstruieren (Mosaic dokumentiert das in der Dial Modern Jazz Sessions-Box natürlich, aber welche dieser Takes nun den Tracks auf z.B. der Spotlite-CD entsprechen, weiss ich nicht sicher … hab oben einfach mal einen reingestellt als Kostprobe dafür, dass auch ein Trio mit Cello als „normales“ Piano-Trio funktionieren kann. (In den Diskographien steht in der Regel Bass und Cello, aber ich höre – wie die Leute, die die Mosaic-Box zusammenstellten – nur ein Cello.)
Die Geschichte von Marmarosa ist krass. Er wurde zusammen mit Buddy De Franco in Philadelphia von fünf Matrosen zusammengeschlagen, lag 24 Stunden im Koma und – ich zitiere aus dem Mosaic-Booklet: „According to De Franco, Marmarosa has never been the same since that incident. Eccentricity and mental problems began soon after. The story helps to explain why Dodo would soon disappear and behave unpredictably; he was once found working in a Chinese laundry when he was supposed to be with the Shaw Orchestra.* On another occasion an associate left him at his house and when he returned back home found all the furniture on the lawn. Dodo explained: ‚Well, man, I had to move it out because all the furniture was bugging he sound of the piano.'“ – Marmarosa machte 1950 noch eine Trio-Session für Savoy (vier Stücke mit Thomas Mandrus und Joe Wallace), lebte noch bis 2002, wurde gelegentlich gesichtet und hatte Anfang der Sechziger eine Art kurzes Comeback – war eigentlich ab 1949 aber mehr oder weniger vergessen und wurde in den Neunzigern auch schon mal als verstorben gemeldet.
Zum Abgang von Marmarosa aus dem Musikbusiness erzählte Artie Shaw, dass die Band den 1940er-Hit „Frenesi“ immer wieder spielen musste, auch im September 1949, als Marmarosa zu Shaw zurückkehrte. Shaw habe der Band also erklärt, dass das Stück einfach immer gespielt werden müsse, denn damit würden sie ihre Miete bezahlen können, und ihre Musikalität würde ihnen schon helfen, das Abend für Abend durchzustehen. „So Dodo […], who was a weird little guy but a marvelous player, said ‚I can dig it, I can dig it!‘ One night we had just played it and somebody called ‚Frenesi‘ again. After the third time in one night, Dodo said, ‚If I have to play that thing once more, I’m leaving.‘ I said, ‚Dodo, I gotta play it.‘ He said okay. So Dodo left, Never saw him again. That was his exit from the music business. I had a grudging respect for him; if I could have done it, I would have left too. I can’t blame him. He could afford to do it; I couldn’t.“ (Shaw hatte immer mal wieder finanzielle Probleme und kehrte daher mit neuen Bands zurück, nachdem er sich – vermeintlich – zur Ruhe gesetzt hatte, in den späten Vierzigern war das auch der Grund, dass er wieder anfing.)
Marmarosa erzählte allerdings eine andere Geschichte – er sei betrunken gewesen bei einem Auftritt in einem Offiziersclub auf einer Armee-Basis in Chicago, habe Scheiben zerschlagen: „[Shaw] said, ‚You’re subversive,‘ or something like that. ‚I’m going to have to let you go. I don’t want to, but you will get me in trouble if I keep you on the band.‘ […] It was good band, a swinging band.“ (Beides Geschichten aus dem Uptown 2-CD-Set „On the Coast“, die Version von Shaw kommt ursprünglich aus dem Booklet von „Pittsburgh, 1958“, auch auf Uptown.)

Die Savoy-Session von 1950 fällt noch in die unmittelbare Nähe – sie wurde wie es scheint in Pittsburgh aufgenommen, zwei der vier Stücke erschienen als Single, alle vier dann 1980 auf der Doppel-LP „The Modern Jazz Piano Album“ (Seite A: Bud Powell in einer Combo, Lennie Tristano im p/g/b Trio; Seite B: Herbie Nichols‘ Savoy-Session und Marmarosa; Seite C: George Wallingtons Savoy-Session; Seite D: ein deutlich späteres Quintett von Kenny Clarke mit Horace Silver und John LaPorta, schon 1956 auf der LP „The Jazz Message of“ … Hank Mobley usw. erschienen, als B-Seite, auf der Mobley gar nicht zu hören ist). Jedenfalls klingt Marmarosa hier immer noch recht gut, aber der Überschwang, der sein Spiel früher charakterisierte, ist verschwunden – das wirkt alles eher etwas routiniert, auch die Begleitung macht wenig mehr als den Rahmen ausstecken.
Inzwischen ist etwas mehr Musik zu greifen. Auf dem Uptown 2-CD-Set „On the Coast“ gibt es (neben Aufnahmen von 1945-47) noch zwei Stücke mit Howard Rumsey’s Lighthouse All Stars von 1952 (vom selben Datum gibt es auch eine LP-Seite auf Vantage, die andere Seite gehört Lorraine Geller mit einer noch grösseren Westküsten-Band). Dann ist bei Uptown schon früher „Pittsburgh, 1958“ erschienen, wo neben einer ausführlichen Trio-Session von 1958 auch Aufnahmen von 1956, 1957 und 1962 zu finden sind. Letztere fallen dann in die „Comeback“-Zeit, als Marmarosa mit Gene Ammons spielte, der gerade auf Abwegen war und versuchte, für Argo aufzunehmen, was sein exklusives Label Prestige nicht goutierte. Zwei Trio-Sessions von Marmarosa gibt es, die eine auf Argo als „Dodo’s Back!“ herausgekommen, die andere auf dem Ammons-Twofer „Jug & Dodo“, zusammen mit den Quartettaufnahmen, die Prestige sich dann von Argo zurückgeholt hat. Und eine Quartett-Session mit Bill Hardman gibt es von 1962 anscheinen auch noch – von der hatte ich noch gar nie gehört.
Die Dial-Aufnahmen von Ende 1947 sind dann also auch schon quasi vom Ende von Marmarosas guter Zeit, die von 1945-47 dauerte.
Noch eine Kostprobe:
Und hier „Mellow Mood“ vom 11. Januar 1946 (für Atomic eingespielt, mit Ray Brown und Mills) – die Rollenverteilung ist auch hier nicht viel anders als mit Babasin, egal ob Bass oder Cello (Brown spielte ja obendrein auch gerne Cello):
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*) Artie Shaw; Marmarosa hat neben Shaw und Raeburn auch mit den Bands von Gene Krupa und Charlie Barnett gespielt; mit Krupa waren er und De Franco, als der Vorfall in Philadelphia geschah.
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