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Eine deutlich sensiblere und vor allen Dingen sensitive Rezension der Journalistin Ulrike Gastmann, die ich leider bisher nur auf ihrer Facebook-Seite gefunden habe.
“Deliver Me From Nowhere“
Der neue Film über den Boss ist in den Kinos
Hochgekrempelte Karohemden. Schwer beeindruckender Bizeps (als habe einer 20 Jahre lang nonstop Holz gehackt) wie nebenbei dargeboten. Hingebungsvolle Rauheit im Gesang, die sich in Adern einschreibt – am Hals, auf den Armen, und irgendwo auch im Herzen des Zuschauers. Man kennt das ja: Wenn Bruce Springsteen auf der Bühne steht, glüht eine Menschlichkeit in ihm auf, der sich kaum jemand vom selben Stern zu entziehen zu vermag während drumherum entweder ordentlich auf die Pauke gehauen wird oder ganz ergriffen gelauscht, als wäre das alles ein Gebet. The Boss eben.
Bruce Springsteen kann im Grunde alles – und löst bei kaum jemandem schlechte Gefühle aus. Außer vielleicht beim augenblicklichen Oberboss der Vereinigten Staaten, aber das ist eine andere Geschichte.
Im am Donnerstag in deutschen Kinos erschienenen Film „Deliver Me From Nowhere“, der im Grunde ausschließlich die Entstehung des Albums „Nebraska“ nachzeichnet, sieht man keineswegs bereits den Springsteen der Stadionhymnen, sondern einen jungen, ziemlich depressiven Mann, der gewollt und völlig unzeitgemäß innehält.
Anfang der Achtziger, nach all dem ersten, aber ordentlichen Applaus, nach erfolgreicher Tournee, „Hungry heart“ und viel Schweiß und Triumphen, steht dieser ziemliche fertige und doch noch ganz unfertige Springsteen vor der wohl schwierigsten Aufgabe eines talentierten Menschen mit Erfolg:
Wohin eigentlich, wenn man schon ganz oben ist? Und was, wenn das Ziel plötzlich in die entgegengesetzte Richtung zeigt?
Der Film erzählt diesen Moment des Zurückgehenmüssens, der im Gewand des ständig drohenden Scheiterns doch als Rettung daherkommt.
Denn er muss wirklich einen Gang zurückschalten, der aufstrebende Star Springsteen, in die eigene Geschichte, in die Kindheit, ins Vaterhaus, in jene amerikanische Melancholie, die nach Reihenhaus, Motoröl und toxischem Schweigen riecht. Da ist der Vater: Kriegsveteran, ständig latent aggressiver Alkoholiker, ein Mann, der alles Gefühl tief in sich vergraben hat, weil seine Kindheit und Jugend und seine Zeit es so verlangen. Und da ist der kleine Sohn: sensibel, zart, unschuldigen Blicks aus großen kindlichen Augen, völlig unheroisch – einer, der lieber mit der Mutter tanzt, als sich vom Vater in den Boxring schicken zu lassen.
In einer der berührendsten Szenen des Films sitzt der mittlerweile 32jährige Bruce nach einem Konzert zum ersten Mal auf dem Schoß dieses Vaters, der mittlerweile schwer krank ist. Endlich Vater und Sohn … und Hände, beiderseitiges Gefühl in den Blicken. Vergebung, so anrührend, dass man kaum hinsehen mag, weil sie zu wahr ist. Eine Szene, die nullkommanichts beweisen will.
Jeremy Allen White spielt Bruce Springsteen mit einer Mischung aus muskulöser Verletzlichkeit und entwaffnendem schauspielerischen und gesanglichem Können. Physiognomisch zwar eher verortbar als kleiner Bruder Al Pacinos, Adrien Brodys oder Wolodymyr Selenskyjs, wird er in Bewegung, in Mimik und Stimme plötzlich zu etwas sehr Eigenem.
Was noch? Es ist angenehm, wie der Film Männerfreundschaften zeichnet – echte, warme Männerfreundschaften ohne Macho-Pathos: mit Jon Landau, dem klugen und ruhigen Komplizen, der sehr genau weiß, wann man den Boss lässt. Und daneben die von Anfang an zum Scheitern verurteilte, fast schmerzhaft schöne Beziehung zu Faye, dieser jungen, durchaus Hinguckerpotential habenden, alleinerziehenden Achtziger-Jahre-Frau mit blondem Curtain-Pony und traurigem Lächeln. Eine Figur wie aus einem Videoclip von Deborah Harry gefallen.
Das alles kommt daher in wunderbar unironischen Achtziger-Jahre-Farben: Jeans, Licht, Zigarettenrauch. Keine Retro-Schminke, keine Klamaukverkleidung, nirgends. Stattdessen klare, aufrechte Nostalgie.
Deliver Me From Nowhere will gar nicht liefern, was man erwartet. Kein Rock-Feuerwerk, kein Mythos in Lederjacke. Stattdessen ist ein stiller, sehr menschlicher Film herausgekommen.
Der mit Sicherheit den einen oder anderen „Nebraska“ mal wieder raus kramen lässt. Ein Film über das Unspektakuläre, über das, was nach dem Applaus übrigbleibt.
Vielleicht ist das das eigentlich Tröstliche an dieser Geschichte: Dass sogar der Boss mal zurückmusste, um endlich endlich bei zu sich zu sein. Und dass Nebraska plötzlich klingt wie ein Familienfoto mit der ferneren Verwandtschaft aussieht. ❤️
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