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MINGUS AH UM
mingus, handy, ervin, hadi, knepper, dennis, üarlan, richmond, macero, plaut, moore (5.5. & 12.5.1959)
1953 gründete teo macero zusammen mit charles mingus den jazz composers workshop. 5 jahre später war macero produzent und holte mingus zu columbia. die workshop-situation setzte sich fort: mingus komponierte und spielte, macero schnitt sich das beste heraus. mir war das gar nicht so klar, wie drastisch die schnittversionen ausfallen (von „bird call“ z.b. hört man auf der original-lp nur die hälfte). und was hört man jetzt hier, für diese aufgabe, geschnitten oder ungeschnitten? ich nehme natürlich die album-idee und den einfluss von produzent*innen ernst und höre die macero-version von AH UM.
auch die kompositionen sind natürlich patchworks – voller reminiszenzen an die kirchlichen und weltlichen aggregatzustände schwarzer musik, die hypnotisch rollenden klavierarpeggien zum klatschen der gemeinde, der trinker-blues für den alten tenorsax-pionier, die filmische melancholie-studie in schwarzweiß, der spelunken-boogie mit der losen hüfte, die nervöse virtuosität des bebop, das elegante portfolio ellingtons, schließlich das pièce de resistance gegen die aktuelle rassistische politik. das alles blättern mingus, minga, mingum nicht als chronik auf, sondern in bits & pieces, die sich an den alten formen und aktuellen erfahrungen wieder entzünden. teo macero schneidet dabei in soli rein, wenn sie bereits fahrt aufgenommen haben, oder schneidet sie raus, wenn sie die knackigkeit des moments gefährden – er hatte scheinbar dafür nicht nur pragmatische (LP-länge), sondern auch ästhetische gründe. es wirkt tatsächlich weniger wie ein eingriff, vielmehr wie eine verabredung, ein offener umgang mit form und struktur und angebot. die band passt dazu, ich finde sie eine der integriertesten, die mingus je hatte, alle haben eine eigene stimme, aber zusammen haben sie einen sound, aus dem niemand ausschert. manchmal rollt das einfach, punktiert von ein paar seufzern – oder einer kurzen rebellion des slap-basses (in deppelter bedeutung) gegen die fables of faubus, die hier, bei weiß-columbia, nicht kritisiert werden dürfen.
teo macero wird sich gefreut haben – er hat den party-mingus von BLUES & ROOTS erobert, noch ehe das letzte atlantic-album raus war. die grafik-abteilung ruft die moderne aus (gleicher künstler wie beim TIME-OUT-cover). die PR-abteilung hat es auch leicht: der wilde schwarze mann hier in ständiger jazzgeschichtlicher verbeugung, vor jelly roll, vor dem duke, vor lester young, vor charlie parker, lebendiges kontinuum. und wenn er sich mal aufrichtet, zum politischen kommentar, so kann man ihm noch den mund verbieten.
verrückt ist, wie der mingus workshop hier klingt. man hat in der kirche in der 30. straße quasi den aufbau von KIND OF BLUE stehen gelassen, das ein paar wochen vorher dort aufgenommen wurde. die knackigkeit hat den schönen, edlen nachhall. und das reduzierte bluespiano von horace parlan klingt plötzlich nach bill evans‘ harmonischem reichtum, danny richmond swingt wie jimmy cobb auf mate-tee, und mingus tut zumindest im dreifarbigen selbstportät so, als hätte er den modaljazz miterfunden. aber selbst ohne kirchen- und columbia-weihen wäre wohl „goodbye pork pie hat“ zu einer der schönsten jazzballade aller zeiten geworden.
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