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Ray Anderson – It Just So Happens | Ray Anderson bei RVG am 31. Januar und 1. Februar 1987 mit einer erstklassigen Band: Stanton Davis (t), Perry Robinson (cl), Bob Stewart (tuba), Mark Dresser (b) und Ronnie Burrage (d) – und los geht es auf der CD mit einer tollen Reggae-Version von „Once in a While“. Ein längeres Solo-Intro der Posaune und nach einer guten Minute setzten Dresser und Burrage ein, mit einem staubtrockenen Bass-Riff und einem karger Beat, der immer wieder mit unerwarteten Kommentaren und Ausschmückungen aufgefüllt wird. Darüber spricht, singt und brummelt der Leader … toll! Auf der LP ist das Stück am Beginn der B-Seite programmiert, aber weil die CD davon noch einen Alternate Take zu bieten hat, ist der Master an den Anfang gestellt worden und der Alternate folgt dann an der Position, an der bei der LP der Master plaziert wurde. Bis auf den Closer der ersten Hälfte, Piaf-Louigusys „La Vie en rose“, stammen alle weiteren Stücke vom Leader und im schnellen, kantig-jazzigen Titelstück, mit dem wie gesagt die LP beginnt, ist auch Stanton Davis dabei und kriegt das erste Solo. „Ross The Boss“ ist wieder eine Groove-Nummer, von der Rhythmusgruppe im Duo eröffnet. Danach verschränken sich die tollen Sounds von Davis und Anderson ineinander und in den Groove, auch der Trompeter rauht seinen Ton bis zum growlen auf – und natürlich erinnert das alles an eine Art Update der Ellington-Sounds der späten Zwanzigerjahre, über einen sehr aktuellen Beat (Burrage ist wirklich toll, ich kenne ihn viel zu schlecht). In „Elegy for Joe Scott“ sind dann wirklich alle Bläser am Start – die Elegie ist beim Wort zu nehmen, Anderson und Davis sind asynchron im Lead, die Klarinette im Hintergrund dabei, die Tuba und der Bass spielen Liegetöne und Burrage eine Art verlangsamten Marching-Groove. Klar, dass auch der Piaf-Klassiker als Groove-Nummer daherkommt, eine Art Uptempo-Reggae mit charmantem Bläserarrangement und singender Posaune im Lead. Das ist postmodernes Pasticcio, allerdings verdammt gut gemacht – und braucht sich vor der Brass Fantasy bestimmt nicht zu verstecken.
Der Alternate Take von „Once in a While“ läuft nach demselben Schema ab, ist aber etwas verhaltener in der Stimmung und weniger mitreissend – keine unbedingt nötige Beigabe, aber das war damals halt im Trend, man wollte das neue Format pushen und der zusätzliche Platz musste daher auch genutzt werden (53:35 v.s 47:11, wenn die aufgedruckten Zeitangaben stimmen – die LP also auch schon zu lang, um heutigen Retro-Anforderungen genügen zu können). „Raven’s Jolly Jump-Up“ ist tatsächlich ein fröhlicher Jump – der irgendwo zwischen Dixieland und Ländler changiert, mit der deutlich heraushörbaren fröhlichen Klarinette. Anderson spielt im Thema quasi gleich selbst Call & Response, doch dann wird mit einer Stoptime-Passge wieder die strahlende Trompete von Davis lanciert, während Burrage – nicht zum ersten Mal – Glocken-Effekte (in der Mitte der Becken) einstreut, bevor die anderen Bläser zu riffen beginnen und dann – endlich! – wieder mit Stoptime losgeschickt, Perry Robinson ein Solo kriegt. Zu leise im Mix (hey, RVG!) aber mit ein paar guten Ideen, einem Touch of Growl und einer schönen Passage in der tiefen Lage des Instruments. Anderson ist danach natürlich doppelt so laut und Burrage legt nochmal etwas zu – und kriegt dann das letzte Solo, wieder mit Stoptime und Riffs. Dresser ist dann in „Fatelet“ lange ganz unbegleitet zu hören – ansonsten ist das Stück eine Art Rubato-Ballade mit Andersons Posaune im Lead und einem freidrehenden Bass darunter. „Fishin‘ with Gramps“ heisst der Closer, noch ein Romp im fröhlich-postmodernen Retro-New-Orleans-Gewand – und hier pausiert Dresser, Stewart an der Tuba übernimmt die Basslinie, während die drei Bläser ein typisches Gewebe aus sich ergänzenden Linien darüberlegen und Burrage einen Snare- und Becken-Groove spielt (für die Bassdrum bräuchte es bei der Marching-Band ja einen zweiten Spieler). Robinson spielt mittendrin ein paar Takte, bleibt aber eng in die Band eingebettet und (RVG! RVG!!) ist wieder gar leise – und danach hören wir wieder den Leader, der auf seinem Album das letzte Wort kriegt und im Gespräch mit der Tuba ein riffendes Solo spielt.
Unterm Strich für mich doch eine kleine Entdeckung, weil Anderson hier nicht nur Spass hat sondern eine echt gute Band zusammengestellt hat – und sie in abwechslungsreichen, durchaus gekonnt gemachten Arrangements zum Einsatz kommen lässt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba