Antwort auf: Alben und Referenzen – "Was bedeutet für Euch…?"

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zoji

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Wie schon beim Live-Aid-Konzert einige Jahre zuvor hatte ich eher geringes Interesse an den Acts der Mandela-Show 1988, um es komplett zu ignorieren war es aber einfach zu groß. Und der Auftritt von Chapman war dann auch für mich sehr speziell. Die Songs fand ich ganz hübsch. Vor allem aber war es wahnsinnig berührend, wie diese kleine, noch weitgehend unbekannte Person mit den lustigen Dreads da auf der riesigen Bühne vor einem ebensolchen Publikum stand, sich um den Zustand der Welt sorgte und nur mit einer Gitarre bewaffnet den Kampf gegen ihre Ungerechtigkeiten aufnahm. Das war für mich persönlich schon ein sehr bemerkenswerter Moment der Musikgeschichte. Dennoch operierte sie auch sehr am Rande meiner damaligen musikalischen Interessen und ich habe ihren Weg dann nie intensiv verfolgt.

Ein paar Wochen später lag dann zwischen Ende meiner Ausbildung und dem Beginn des Zivildienstes jede Menge Sommer, in dem ich mit einem Freund die Küste Portugals bereiste. Auf einem Campingplatz lernten wir Sabine und ihre Freundin kennen. Beide noch nicht ganz volljährig, hübsch, freundlich, reizend, und also natürlich interessant, wenn Du noch auf der Suche nach der großen Liebe bist. Nach einem etwas holprigen Start lernte man sich doch noch kennen und schätzen, als wir weiter reisten verabredeten wir uns auf dem nächsten Campingplatz, wo wir dann noch, meist in größerer Gruppe, einige Tage und Abende zusammen verbrachten. Beim nächtlichen Lagerfeuer kam selbstverständlich auch das Thema Musik zur Sprache, Sabine benannte Chapman als ihre Lieblingsmusikerin, die sie ja selbst erst vor kurzer Zeit kennen gelernt haben konnte, und ich quittierte das wahrscheinlich mit dem der Jugend geschuldeten herablassenden Wohlwollen des zwar prinzipiell ahnungslosen, aber dessen ungeachtet selbsternannten Top-Musik-Checkers. Außerdem hielt ich das für eine schlüssige Wahl für eine junge, aber über ihr Alter hinaus reflektierte, nachdenkliche und kluge Frau. Ein großes Thema war das dann aber im weiteren meiner Erinnerung nach nicht mehr zwischen uns. Jedenfalls war ich gegen Ende des Urlaubs moderat verknallt, genug, um mich emotional ein wenig zu beschäftigen, viel zu wenig für eine Kernschmelze. Das nächste Jahr, vielleicht auch die nächsten anderthalb, hielten wir ausführlichen, wertschätzenden und warmherzigen Briefkontakt in hoher Frequenz, als sie ankündigte, irgendjemanden in Hamburg zu besuchen und das sie uns dann auch gerne wiedersehen möchte. Ich freute mich sehr darauf, und ehrlich gesagt hoffte ich nach einer schwierigen Zeit auch darauf, das ganze vielleicht doch noch zur Lovestory erweitern zu können. Umso ernüchternder war dann die Wiederbegegnung. Sie verhielt sich äußerst distanziert und zurückweisend, ich hatte den Eindruck, dass sie immer bestrebt ist, dort zu stehen, wo ich gerade nicht stehe. Wir waren unter anderem zum Billard verabredet, und später hat mich die Situation an eine schlechte Karikatur erinnert, in der ein Chef seine Sekretärin um den Schreibtisch jagt. Es war furchtbar. Ich war nicht nur enttäuscht, sondern richtig vor den Kopf gestoßen. In unserem schriftlichen Gedankenaustausch hatte mich nichts darauf vorbereitet, dass der Abend so verlaufen könnte. Zwei Tage später waren wir wieder bei meinem Freund verabredet, und statt auch nur den Versuch zu machen, sie zu fragen, was eigentlich los ist, rief ich zur verabredeten Zeit bei ihm an, bat sie ans Telefon, erklärte, dass ich nicht kommen werde und es für besser halte, wenn wir den Kontakt abbrechen. Die räumliche Distanz, mit der halben Bundesrepublik zwischen uns, ließ mir, zumal in der Jugend, eine radikale Lösung zur Beendigung des Schmerzes sehr zwingend erscheinen. Von ihr wurde das ohne Umstände kühl akzeptiert, und das war das letzte Mal, dass wir uns sprachen.

Hier wäre die Geschichte normalerweise beendet gewesen, zumal auch mein Freund nach diesem Wochenende keinen Kontakt mehr zu ihr hatte, und Sabine wäre nur ein weiterer Name auf einer schier endlosen, und nicht annähernd lückenlos rekonstruierbaren Liste von Ladys, in die ich mich mal mehr, mal weniger verliebt hatte und bei denen ich mir eine blutige Nase geholt habe. Es stellte sich jedoch zwei, vielleicht auch drei Jahre später heraus, dass die beiden zufällig einen gemeinsamen Bekannten hatten. Und der hatte ihm berichtet, dass Sabine eines Abends auf der Autobahn unterwegs war, als es vor ihr zu einem Unfall kam. Sie stieg aus um zu helfen, als ein nachfolgender Wagen sie erfasste und tötete. Natürlich fand ich das traurig, war vielleicht auch kurz schockiert, als ich es hörte, aber zum einen waren die 90er, und speziell die frühen, für mich selbst eine sehr bewegte Zeit, zum anderen hatte ich viel Abstand gewonnen. Es war etwa so, als hätte ich vom Tod eines ehemaligen Mitschülers erfahren, mit dem ich schon in der Schulzeit wenig zu tun hatte. Tatsächlich hat mich ihr Tod über den Augenblick hinaus nicht belastet.

Ich weiß auch nicht einmal mehr, ob ich überhaupt an sie dachte, als ich viel später irgendwann in den 00ern, allmählich besser im Leben angekommen und meine musikalischen Pfade etwas erweiternd, endlich doch Chapmans Debüt für kleines Geld vom Grabbeltisch mitnahm. Aber kaum, dass ich es hörte, war es wieder da, Portugal 88, die Strände, die Orte, und selbstverständlich Sabine. Kränkung und Verärgerung waren natürlich längst verraucht. Und erst da, mindestens eine Dekade später, war ich unendlich traurig, dass eine junge Frau mit großer Zukunft, beim Versuch, anderen Menschen zu helfen, so brutal aus dem Leben gerissen wurde. Letztlich hat sie keine großen Spuren in meinem Leben hinterlassen, wir kannten uns wie gesagt nur von wenigen Abenden im Urlaub, einem komplett missratenen in Hamburg und einer größeren Zahl Briefe. Aber wenn ich heute Chapman höre, nicht sehr oft zugegeben, dann immer mit den Gedanken an sie, das Debüt ist für mich untrennbar mit ihr verbunden. Und was mich wirklich ein bisschen fertig macht ist der Titel Fast Car. Nicht wegen des Inhalts, es geht ja nicht um einen Verkehrsunfall, aber verdammt … Fast Car.

zuletzt geändert von zoji

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Und lieg´ich dereinst auf der Bahre, dann denkt an meine Guitahre, und gebt sie mir mit in mein Grab (Der rührselige Cowboy, D. Duck)