Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

Startseite Foren Kulturgut Für Cineasten: die Filme-Diskussion Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

#12519671  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 69,454

Die letzten Tage:

Lumière d’été (Jean Grémillon, FR 1943) – der letzte/spätestes aus der „Zone libre“ DVD-Box – und unbedingt ein Highlight, das in der nicht-chronologischen Gruppierung der Box ganz zu Recht an den Anfang gesetzt wird. Einstellung für Einstellung ein vollkommen durchdachter Film der Gegensätze – ein Liebesfünfeck aber auch ein Sozialdrama bzw. ein Film über Klassen, später poetischer Realismus aber stellenweise auch eine Art Noir, ein Film über Dunkel und Licht, über Unten und Oben, Innen und Aussen … Grémillon machte in der Nazi-Zeit linkes Kino (er stand den Kommunisten nahe bzw. war sogar Parteimitglied), wurde später zwar langjähriger Direktor der Cinémathèque, aber erfolgreiche Filme machte er nach dem Krieg keine mehr.

Mare (Andrea Štaka, CH/HR 2020) – Štaka hatte ich neulich mal als Gesprächspartnerin bei einer Filmvorführung erlebt (bei Helena Wittmanns „Human Flowers of Flesh“, glaube ich?) … aber noch keinen ihrer Filme gesehen. „Mare“ wird von der starken Hauptdarstellerin (nach ihrer Figur ist der Film auch benannt) getragen, ein poetischer Film über den Alltag einer Frau, ihre Routinen, die Zwängen in denen sie sich wiederfindet, eine kleine Flucht, die die erträumten aber unmöglichen richtigen Fluchten offenbart.

The Nights Still Smell of Gunpowder (Inadelso Cossa, MZ/DE/FR/PT/NL/NO 2024) – eine deprimierende, sehr poetische, sehr persönliche Reflexion und Erinnerungssuche über den Bürgerkrieg in Mozambique … eine dieser Perlen, die man dank arte auch abseits der einschlägigen (Dok-)Filmfestivals zu sehen kriegen kann. Hier gibt es ein kurzes Video, in dem der Regisseur sich zu seinem Film äussert:
https://www.arte.tv/fr/videos/118149-001-A/the-nights-still-smell-of-gunpowder-rencontre-avec-le-realisateur-i-cossa

Land of Dreams (Shoja Azari/Shirin Neshat, US/DE 2021) – und was ist das denn? Im November werde ich in Paris Neshats Inszenierung von „Aida“ sehen … kannte sie bisher nicht wirklich, aber ich mochte diesen seltsamen Film irgendwie total. Eine freunlich-sonnige Dystopie, die hell ausgeleuchtet ziemlich düster ist.

Quo vadis, Aida (Jasmila Žbanić, BA/DE/ME 2020) – Aida ist hier einmal mehr der Name der Hauptfigur, eine Übersetzerin, aus deren Perspektive der Film die unfassbaren Verbrechen von Srebrenica erzählt (die Vorlage ist das Erinnerungsbuch eines damals anwesenden Übersetzers, Zbanic hat also die Figur geändert, aber nicht die Geschichte). Deprimierend … erst recht, wenn man sich die Politik und das Gedankengut vor Augen hält, das derzeit in den westlichen Gesellschaften die Runde macht (die nette Dissertationshackerin der CDU war ja gerade mit Weidel und Vampir-Thiel bei Orban zu Besuch … ganz normal heutzutage, finden anscheinend die allermeisten Leute). Eine der heftigsten Szenen des Films, am Ende: in einer Turnhalle wird eine Gruppe von Männern hingerichtet, während die Leute aus dem Dorf direkt daneben an der Sonne sitzen und Kaffee trinken. Nur ein paar direkt neben der Halle fussballspielende Kinder rennen verstört davon.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba