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Varda par Agnès (2019) – Tag 16 und Abschluss meines Varda-Marathons: die 90jährige sitzt, ein paar Monate vor ihrem Tod noch quicklebendig auf der Bühne eines Kinos oder Theaters und erzählt (sie ist gut vorbereitet, hat Notizen dabei, auf die sie immer wieder guckt – ich nehme an, das war von Beginn weg auch als Filmprojekt geplant). Mal empfängt sie einen Gast auf der Bühne, mal werden Ausschnitte aus Filmen oder Dokumentationsmaterial ergänzt, in der ersten der zwei „causeries“ (Plaudereien) gibt es auch noch einen Aussendreh mit Sandrine Bonnaire (vielleicht deshalb wird Didier Rouget als Co-Regisseur für den ersten Teil angegeben) … manches ist in der grossen Edition natürlich redundant, weil Ausschnitte aus den späten Dokus auch in Ausschnitten neu eingebettet als DVD-Bonusmaterial verwendet wurde, aber umso schöner werden die Schwerpunkte, die Dreh- und Angelpunkte im Werk sichtbar: die Begegnung mit Menschen, der Strand und das Meer – und bei letzteren ist immer, wirklich immer, Demy dabei – die Verbindung muss trotz der schwierigen Zeit unglaublich eng gewesen sein. Im ersten Teil geht es bis zum Dreh des letzten Spielfilms (Les Cent et une Nuits de Monsieur Cinéma), im zweiten dann von dort bis zu „Visage, Villages“, wobei das Frühwerk als Photographin erst da richtig zum Thema wird, weil das dritte Leben als visuelle Künstlerin damit gerade so viel oder mehr zu tun hat wie der Übergang von den Fotografie zum Film. Bonusmaterial gibt es auch hier wieder ein wenig, darunter eine kleine Vignette (eine halbe Minute?), in der Varda mit einer ihrer Katzen plaudert und ihr sagt, jemand hätte sie mal darauf hingewiesen, dass: „dans le mot bavardage, il y a Varda“ – und sie hätte nun ganz viel gequatscht … ein schöner Abschluss. (Es gibt dann noch eine kurze Doku, die die génériques von Vardas Filmen kommentiert – auch ganz interessant.)
Ich bin wirklich begeistert. Die ganz grossen Entdeckungen – neben den mir schon davor bekannten Meisterwerken „Cléo de 5 à 7“, „Le Bonheur“ und „Les Glaneurs et la glaneuse“ – sind wohl „La Pointe courte“, „Dagguerréotypes“ und natürlich „Sans toit ni loi“, aber ebenso „L’une chante et l’autre pas“, „Documenteur“, „Jane B. par Agnès V.“, „Mur murs“ und „Jacquot de Nantes“ (den ich aus dem Demy-Kontext noch nicht kannte). Von den Kurzfilmen ist der frühe „L’Opéra-Mouffe“ sehr toll, aber auch der ähnlich poetische „7 p., cuis., s. de b., … à saisir“, dazu die klassischeren „Salut les Cubains“ und „Black Panthers“, die Familiengeschichte um „Oncle Yanco“, die poetisch-verspielten „Les Dites caryatides“ und „Le Lion volatil“, das Portrait „Elsa la Rose“ und auch der erste Film über die Loire-Schlösser, „Ô Saisons, ô châteaux“.
Die späten Dokumentarfilme (die beiden über Demy aus den Neunzigern, „Deux ans après“, „Quelques veuves de Noirmoutier“, „Les Plages d’Agnès“, für den das Stück der Rue Daguerre vor Vardas Haus in einen Strand verwandelt wurde, „Agnès de ci de là Varda“, der dritte Teil der DVD mit „Les 3 Vies d’Agnès“, „Visages, villages“ und zuletzt die beiden „causeries“) fügen sich zusammen und ergeben am Ende auch ein umfangreiches Portrait von Varda selbst – eine Art Mosaik, ganz wie ihr frühes Selbstporträt unten (1950, seit 1981 in der Sammlung des Centre Pompidou).
Die hier nicht erwähnten Filme sind im Kontext der Box, des Gesamtwerkes, durchaus vergnüglich („Les Cent et une Nuits“) oder interessant („Les Créatures“) und teilweise auch ganz gut, aber nicht gerade so, wie die schon erwähnten („Lions Love“, „Kung-Fu Master“). Toll jedenfalls, dass in der DVD-Box wirklich fast alles drin ist, was in den Listen so auftaucht.
Lücken sind: der Viennale-Trailer, der gut zu den „3 Vies“ oder als Bonus zu „Varda par Agnès“ oder sonstwo dazu gepasst hätte; „La Cocotte d’Azur“ von 1958, was wohl eine Collage von Überschussmaterial zu „Du côté de la côte“ ist (glaub ich zumindest, las ich irgendwo); „La Petite Histoire de Gwen la bretonne“; sowie die paar Minuten, die Varda mit Pasolini in New York drehte. Auf mehr komme ich gerade nicht, aber es ist etwas unübersichtlich: die Ciné Tamaris Seite listet einiges Kurzes nicht auf, der Filmografie-Eintrag der frz. Wiki ist ganz gut, der dt. dafür rein chronologisch sortiert (aber weniger umfangreich). Die unglaublich schönen stummen Probeaufnahmen zu „La Mélangite“ fehlen fast überall (sind aber in der DVD-Box, auch ohne dass man das irgendwo prominent mitkriegen würde).
Hier noch „La Petite Histoire de Gwen la bretonne“ (2008):
Und hier das Material, das Varda mit Pasolini in New York drehte (1967) – zu sehen in Bologna im Sommer 2022 in der Ausstellung „Pier Paolo Pasolini. Folgorazioni figurative“ in der Sottopasso di Piazza Re Enzo (ich war im Rahmen des Cinema Ritrovato dort und hab die Ausstellung gesehen):
Im Rahmen der grossen Ausstellung in der Cinémathèque in Paris gab es 2023 auch einen Dokumentarfilm, den ich leider noch nicht kenne – vielleicht gibt es ja bald eine dritte Ausgabe von „Tout(e) Varda“ bzw. der „L’Intégrale“:
https://cine-tamaris.fr/agnes-varda/viva-varda-2023/
Der zweite Teil (55 und 67 Minuten steht hier) lief 2023 in Bologna, hatte ich aber verpasst.
Und falls jemand noch bis 24. August nach Paris kommt (schaff ich leider nicht) – im Musée Carnavalet läuft bis dann noch die Fotoausstellung „Le Paris d’Agnès Varda – de-ci, de-là“:
https://www.carnavalet.paris.fr/expositions/le-paris-dagnes-varda
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