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Varda am Wochenende – Tag 13 und 14:
Les 3 boutons (2015) – ein Kurzfilm, von Miucca Prada gesponsert
Les Plages d’Agnès (2008) – eine tolle, sehr nachdenkliche Dokumentation über die Filme und die Arbeit am Film … und die Zeit mit Demy (nicht: die Arbeit mit … denn die gab es ja nicht, selbst bei „Jacquot“ liess er sie anscheinend einfach machen und mischte sich nie ein).
Viennale Walzer – Der Viennale Trailer (2004) – für die Viennale 2004 drehte Varda einen ganz kurzen Film – ein paar wiederkehrende Bilder: der Boden, der Strand … und etwas klassische Musik, obwohl Varda sonst eine Vorliebe für Barockmusik hatte, nicht für Wienerwalzer oder überhaupt Romantisches.
Quelques es Veuves de Noirmentier (2005) – manche Bilder tauchen in Vardas Filmen mehrfach auf … die letzten Aufnahmen, die Varda selbst von Demy am Strand drehte zum Beispiel. Den Witwen von Noirmentier (bzw. einigen von ihnen) widmete Varda eine Installation, die in Museen gezeigt wurde. Vierzehn kleine Bildschirme um ein zentrales Bild herum angeordnet, dazu vierzehn Stühle mit Kopfhörern, auf denen man sich jeweils den Ton zu einem der Bildschirme anhören konnte, eine Geschichte pro Bildschirm und Stuhl. Dazu gab es dann auch einen mittellangen Dokumentarfilm, in dem Varda darüber reflektiert, dass sie auch eine der „veuves de Noirmentier“ ist. Dort, an der Atlantikküste, in der Nähe von Nantes, hatten sie und Demy schon in den Sechzigern ein Haus gekauft, und Vardas Film „Les Créatures“ (1965) entstand auch dort (und Sautet begab sich mit „César et Rosalie“ wohl auf Vardas Spuren: Paris, Sète und Noirmentier).
Les trois vies d’Agnès (2012) – drei Leben hatte Varda, so sagte sie in späten Jahren gerne: ein erstes als Fotografin, das zweite als Cineastin und das dritte dann als Künstlerin („artiste contemporaine“ sagte sie). Sie wurde immer öfter eingeladen, etwas für Ausstellungen beizutragen und freute sich sehr darüber. Anfragen, bei Filmvorstellungen dabei zu sein, nahm sie vor allem dann an, wenn in der betreffenden Stadt oder Gegend ein Museum war, das sie (wieder-)entdecken konnte, sagt sie in einem dieser Filme. Im Bild ist ihre „La Cabane d’echec devenue la Cabane de Cinéma“ (eine solche „Cabane“ gab es auch 2023 in der Varda-Ausstellung der Cinémathèque Française zu sehen, die ich zum Glück besuchen konnte). Der Fehlschlag (echec – Scheitern, Niederlage usw.) war „Les Créatures“, der gerade erwähnte Film: die zahlreichen zurückgesendeten Filmrollen hatte Varda offensichtlich behalten und daraus dann Dach und Wände der „cabane“ gestaltet, über ein Metallgerüst gespannt. Zum ersten Mal aufgebaut wurde die Installation 2012 in der Fondation Cartier.
Agnès de ci, de là Varda (2011) – gestern dann die fünfteilige Miniserie über die Kunstreisende Varda. Über mehrere Jahre hat sie ihre Reisen dokumentiert: nach Berlin, Venedig (dort richtete sie 2003 ihre „Patatupia“ ein und lief im Kartoffelkostüm herum, hinter ihr Yoko Ono), Mexiko, Los Angeles, St. Petersburg, die Art Basel, natürlich die Côte, Sète … immer auch auf den eigenen Spuren, manchmal auf den gemeinsamen Spuren mit Demy – die wichtigen Orte und Menschen noch einmal treffen, Erinnerungen an Verstorbene heraufbeschwören (z.B. die wunderbare Sabine Mamou, ihre Cutterin, die in „Documenteur“ auch als Schauspielerin zu sehen ist, aber z.B. auch Jim Morrison, von dem Varda Fotos machte, als er den Dreh von Demys „Peau d’âne“ besuchte und mit dem die beiden anscheinend sowas wie befreundet waren?). Varda trifft Chris Marker (sein Gesicht ist nie zu sehen, die Katze ist seine Stellvertreterin, er spielt Second Life und lässt dort eine Varda-Doppelgängerin tanzen), Manoel de Oliveira und seine Frau (der über 100jährige macht den Charlot und will danach Vardas kleine Videokamera ausprobieren), Christian Boltanski, Annette Messager, Pierre Soulages … dazwischen sieht man sie auch manchmal beim Erstellen eigener Werke wie den Portrait-Serie „Portraits brisées“ (unten rechts hier mehr) … das bewegt sich zwischen biographischem Rückblick, humorvoller Nabelschau und neugierigem Blick auf die Gegenwartskunst, manchmal schweift der Blick auch weiter zurück, ins 15. oder 16. Jahrhundert, zu Baldung von Grien oder Rogier van der Weyden.
Als Fussnote dazu noch Quelques femmes bulles von Marion Sarraut (1938-2021 und von Anfang an Teil der Szene um die „Cahiers du cinéma“ und die nouvelle vague) – eine 50minütige TV-Sendung von 1978, die als Nebenprodukt von „L’une chante l’autre pas“ (1976) entstand: mit dem gleichen Frauentrio L’Orchidée sowie auch François Wertheimer und ihren Chansons (nicht denselben wie im Film bzw. auch zusätzlichen), dazu eine Art Clown-Revue inkl. Blasmusik-Kapelle (wie es sie im Film nicht gibt). Das nimmt sich in den Momenten dann wie eine Hommage an Fellini aus … und Varda selbst ist für einmal in einigen Szenen vor der Kamera zu sehen. Den Film gibt’s als Bonus auf der entsprechenden DVD, ich hatte ihn am passenden Abend ausgelassen.
Jetzt habe ich noch zwei letzte DVDs vor mir, „Visages, villages“ (2017, mit JR als Co-Regisseur) und „Varda par Agnès“ (2019, mit Didier Rouget als Co-Regisseur). In der Menge an Filmen, die die DVD-Box bietet, wird es gar nicht so klar, dass schon 1995 mit „Les Cent et Une Nuits“ mit grossen Spielfilmen Schluss war (wobei „schon“: es liegen ja 40 Jahre zwischen dem Film und ihrem Debut). Es ist wirklich toll, das ganze Werk inklusive der ganz kurzen Filme zu entdecken, wie es die grosse DVD-Box gestattet (sie erschien wohl 2012 zum ersten mal als „Tout(e) Varda“, meine Ausgabe, wohl von 2019, heisst „L’Intégrale“ und enthält statt 22 sogar 24 DVDs). Und ich bin froh, dass ich ungefähr chronologisch geguckt habe, weil es so bis hin zu „Les 3 boutons“ zwischen dem ganzen (Semi-)Dokumentarischen, (Auto-)Biographischen und Essayistischen der späten Jahre auch noch ab und zu etwas Fiktion gibt.
„Loin du Viet-Nam“ fehlt in der Box übrigens … soweit ich das sehe, hat Varda nach aktuellem Stand des Irrtums (und da die ja eh fast alle schon gestorben sind, kommt da kaum noch viel mehr heraus) nur im Hintergrund mitgewirkt und nie bei den Drehs selbst. Aber gut, die Chris Marker DVD-Box kommt dann vielleicht nächsten Sommer dran.
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