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Tag 11 meiner Varda-Strecke war Jacques Demy gewidmet. In dessen DVD-Box (die ich ganz ähnlich vor ein paar Jahren in einem Sommer am Stück durchguckte) sind nur die zwei reinen Dokus drin, den schönsten der drei Filme, die semi-fiktionalisierte Jugend-Biographie, kannte ich noch nicht:
Jacquot de Nantes (1990) – am 17. Oktober waren die letzten Aufnahmen abgedreht, zehn Tage später starb Demy. In seinen letzten Monaten fing er an, handschriftlich Jugenderinnerungen niederzuschreiben und gab Varda jeden Tag ein paar Seiten zu lesen. Sie meinte, er solle daraus doch einen Film machen. Er: Mach Du den Film. Und so kam es. In Eile suchte Varda nach Geld und einer Crew (drei Kameraleute waren involviert, weil niemand am Stück Zeit hatte) … man konnte im Sommer in Nantes in der Garage drehen, in der Demys Familie damals lebte und arbeitete, aber weil die Zeit nicht reichte, wurden die Sets dann alle auch nochmal nachgebaut … drei junge Darsteller spielen Demy im Alter von ca. 4 bis 18 Jahren, episodenhaft wird seine Kindheit und Jugend zwischen Schule, Krieg, der Liebe für Musik, Theater und Kino erzählt. Demy fängt an, Puppentheater zu machen, kriegt während der Zeit, als ihn seine Eltern aufs Land brachten wegen der deutschen Besatzung, eine erste Kamera und Filmrollen von Chaplin-Shorts ausgeliehen … und bald fängt er selbst zu experimentieren an, kriegt dann eine erste automatische Kamera (siehe ganz unten), muss aber eine Berufslehre machen, darf nicht aufs Gymnasium oder an die Filmschule. Erst als ein paar Leute sein Talent erkennen und dem Vater zureden, erlaubt dieser, dass Jacques davonzieht. Da endet dann der Film, in dem es zwischendurch ständig Ausschnitte aus Demys Filmen gibt, die sich auf die Jugend beziehen (nicht zuletzt natürlich seine kurze Doku „Le sabotier du Val de Loire“ über das ältere Paar, das Demy und seinen Bruder damals beherbergte), aber auch aktuelle Aufnahmen von Demy – er erzählt etwas, oder die Kamera fährt ganz nah über sein Gesicht, seine Haare, seinen gebeutelten, kranken Körper. Zu den letzten Aufnahmen am Meer war Demy nur bereit, wenn Varda filmt. Das tat sie dann, während ein alter Freund und Mitarbeiter und Rosalie hinter ihr die Batterie und Kabel hertrugen. Alles sehr bewegend, sehr traurig, aber auch sehr schön.
Les demoiselles ont eu 26 ans (1966 & 1992) – zum 25. Geburtstags des Films, der das Städtchen Rochefort aus dem Schlaf weckte, wurde Varda im Rahmen mit grossen Feiern beauftragt, eine Dokumentation zu drehen. Das war – kurz nach Demys Tod – keine leichte Aufgabe. Auch Catherine Deneuve fällt es manchmal nicht leicht, über Françoise Dorléac zu spreche, sie erinnert sich an die wiedergewonnene enge Freundschaft, die sie nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus verloren hatten – und es gibt auch von den beiden intime Aufnahmen, die Varda beim Dreh machte, stumm und auf 16 Millimeter. In der Regel hielten Demy und Varda sich von den Sets der anderen fern, aber in diesem Fall zog die ganze Familie nach Rochefort zum Dreh – und Rosalie erzählt, wie besonders Deneuve immer für einen Spass zu haben war, wie sie den beiden Schwestern beim Schminken und einkleiden zugucken durfte. Michel Legrand, Bernard Evein und weitere Schauspieler*innen kommen zu Wort, die Schwester von Demy und Deneuve taufen Plätze, die Demy und Dorléac gewidmet werden, es gibt Gespräche mit den Einwohner*innen von Rochefort, die natürlich schon damals im Film mitspielten (witzig ein Ehepaar: er spielte damals mit 10 oder 11 einen der Schuljungen, die aus dem Schulhaus kommen, sie mit 15 seine Mutter … Anfang der Siebziger trafen sie sich wieder und heirateten dann).
L’Univers de Jacques Demy (1993/95) – für diesen Film-Essai, einem nicht ganz chronologischen Durchgang durch Demys Werk, konnte Varda auf Aufnahmen eines nicht fertiggestellten Dokumentarfilms über Demy zurückgreifen. Dazu kommen Filmausschnitte und Interviews mit Deneuve, Jeanne Moreau, Dominique Sanda (oben rechts), Danielle Darrieux, Anouk Aimée, Bertrand Tavernier usw. Und mit Harrison Ford, der sich erinnert, wie er für „Model Shop“ vorgesehen war und mit Demy einen solchen besuchte … bis dann die Produktionsfirma auf Gary Lockwood bestand – Ford habe in dem Geschäft keine Zukunft.
Demy mit seiner ersten automatischen Kamera, die er in einem Geschäft in der Passage Pommeraye in Nantes kaufte, die in „Lola“ und „Un Chambre en ville“ zu sehen ist (Stills aus „Jacquot de Nantes“).
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