Antwort auf: Mike Osborne

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Mike Osborne & Friends – Live at The Peanuts Club | Fliege an der Wand spielen? Geht hier! Der Peanuts Club lag anscheinend in einem laut Google geschlossenen Pub an der Wormworth Street in der City of London (ein paar Schritte von der „Gurke“ entfernt), und Ossie war jeden Freitag der Gastgeber einer Jam Session. Manchmal spielte nur das Trio mit Harry Miller und Louis Moholo, aber oft schauten andere Musiker vorbei, vor allem natürlich die Kollegen aus der Brotherhood of Breath. Jazz in Britain hat vor ein paar Jahren eine alte 90minütige Kassette digitalisiert, die einen Abend von ca. 1975/76 dokumentiert. Auf zwei unbekannten Originals von Osborne hören wir ihn und sein Trio plus Harry Beckett, Marc Charig und Alan Skidmore, für die zwei folgenden Standards „Well You Needn’t“ und „Cherokee“ stösst dann auch noch Elton Dean dazu. Der Sound ist sehr okay, man hörte jedenfalls den Bass recht gut und von den Drums erstaunlich viele Details … und dadurch, dass im Kern eine Band steht, die schon jahrelang eingegroovt ist und mit Spielfreude aber auch einem ständigen Überraschungsmoment agiert, wirkt das das nicht wie eine unverbindliche Jam Session sondern wie ein fokussierter Gig. Alle sind bei der Sache, alle liefern … während die beiden Altsaxophone nicht schwer auseinanderzuhalten sind, muss ich gestehen, dass ich bei den Trompeten (Harry Beckett vermutlich am Kornett) nicht ganz sicher bin. Der 18minütige Opener ist so catchy und funky, dass es mir ein Rätsel ist, dass niemand das Stück identifizieren konnte … ich tippe hier auf BoB-Repertoire. Miller/Moholo rollen den Groove aus, die Bläser tanzen darüber, Osborne setzt am Ende das Glanzlicht, aber ich finde auch Skidmore hier besonders stark, mit einem verschatteten Solo. Überhaupt ist die Atmosphäre hier sehr schön dunkel. Das zweite Stücke dauert dann schon 24 Minuten und hier ist es Osborne, der als erster loslegt, eine lange Improvisation des Trios, danach öffnet sich das Stück, des gibt auch zwei Trompetensoli, getrennt von einem unbegleiteten Bass-Intermezzo – das zweite Trompetensolo (Beckett, vermute ich) gefällt mir besonders gut – und es gibt einen enorm aktiven Moholo, der hier buchstäblich allem seinen Stempel aufdrückt und verdientermassen auch ein Solo spielen darf, während Millers Bass phasenweise leider etwas untergeht. Und Skidmore höre ich hier glaube ich gar nicht? Ein Gedanke, der mir bei Osbornes langem Solo durch den Kopf geht ist, dass mich sein Spiel in einer gewissen Weise ein wenig an den späten Art Pepper (eher 1978/80 als 1975) erinnert: wie dieser „setzt“ er seine Beiträge, wirkt auch in den bewegtesten Momenten vollkommen geerdet, in sich ruhend. Über eine halbe Stunde dauert die Version von „Well You Needn’t“ – und in den leisen Riffs hinter Osborne, der wieder als erster soliert, wird der BoB-Spirit hörbar. Moholo hält sich natürlich auch in einem Bop-Stück nicht zurück, reicht Press-Roll and Press-Roll, hält seinen Beat aber regelmässiger, es fehlt das Überraschungsmoment. Dean muss sich danach ziemlich ins Zeug legen, tut dies aber mit Gusto und sich manchmal überschlagenden, brechendem Ton. Nach einem ersten Trompetensolo (Charig mit seinem klaren Ton?) ist dann wieder Skidmore zu hören – und Moholo ist jetzt auch richtig in Fahrt. Das zweite Trompetensolo ist verspielter, ich tippe auf Beckett, der mit Miller/Moholo zu einem echten Trio verschmilzt (dieses gibt es dank einer späteren jazzwerkstatt-Veröffentlichung aus Peitz ja tatsächlich auch noch). Danach ist Moholo dran – er bleibt stellenweise eng an Monks Thema, irgendwann kommt Miller am Bass dazu, dann wiederholen die Bläser da Thema, aber Moholo trommelt einfach weiter, bis sich die Performance in einer Art kollektiven Coda aufzulösen scheint, aus der Miller mit einem Bass-Solo emporsteigt, das dann aber leider nach etwas mehr als einer Minute eher unvermittelt abbricht. Als Closer gibt es dann noch das kurze „Cherokee“ („nur“ 12 Minuten) – und hier sind natürlich die Saxophone dran. Skidmore setzt vielleicht das Glanzlicht mit einem Solo, das oft ins Tiefe Register hinabsteigt … und wer davor zu hören ist? Ich tippe eher auf Elton Dean hier. Danach kurz Moholo und dann nochmal ein Altsax, das aber schnell ins Thema zurück führt – Moholo stompt, die Trompeten irrlichtern – und die Band findet in einen anderen Bebop-Klassiker, den ich grad nicht benennen kann und es folgt eine kurze Kollektiv-Improvisation, bevor das Stück endet. Das ist sehr tolle Musik, auch wenn die 85 oder 86 Minuten natürlich eine Ansage sind – ein Brocken!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba