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Heute im Kino vier Kurzfilme und ein langer:
Banditi a Orgosolo (IT 1961) – nach den unglaublich tollen Kurzfilmen von Vittorio de Seta musste ich jetzt also auch endlich mal seinen langen Film sehen. Einzelne Einstellungen für die Schäfer-Doku („Pastori di Orgosolo“, 1958) scheinen vom selben Dreh/Material zu stammen oder wirkten jedenfalls sehr ähnlich. Die Kurzfilme sind gerade in ihrer Knappheit so eindrücklich, aber das lässt sich auch auf 98 Minuten übertragen: die Kargheit der Landschaft, die damit einhergehende Armut, das Ausgeliefertsein nicht nur der Natur sondern auch dem Staat (der Polizei) und dem Parallelstaat (den „banditi“, zu denen der Protagonist am Ende selbst gehört, weil ihm keine Wahl bleibt, ausser für einen nicht begangenen Mord lange Zeit ins Gefängnis zu gehen).
Davor gab es einen Fussball-Film von Tati und seiner Tochter:
Forza Bastia (FR 1978/2000) über das Fussballspiel vom SC Bastia gegen den PSV Eindhofen in Bastia. Das Hinspiel des damaligen Uefa-Cup-Finales (1977/78) endete 0:0, die Sensation war aber, dass der Club überhaupt so weit kommen konnte. Jacques Tati hat das gefilmt, weil er vom befreundeten Clubpräsidenten darum geben wurde, aber die fertige Version des Films hat wohl erst seine Tochter, Sophie Tatischeff, ein Jahr vor ihrem Tod 2001 fertig gestellt (der Film ist in Farbe, man findet ihn wohl im Netz, aber ich will da nichts verlinken).
Danach gab es drei Künstler-Portraits von Pierre Koralnik:
Francis Bacon, peintre anglais (CH 1962)
James Baldwin, un étranger dans le village (CH 1962)
Louise Nevelson, My Life as a Collage (CH 1980)
Die ersten zwei ca. eine halbe, der dritte dann eine ganze Stunde lang, alles Arbeiten fürs Fernsehen. Koralnik und ein Journalist besuchen Bacon im Atelier und spreche in Französisch mit ihm (Untertitel gab es keine), im ersten Teil allein, dann mit seinem Partner und anderen Freunden – und in dem längeren zweiten Teil hält Bacon ständig ein Pastis-Glas in der Hand und ist ziemlich betrunken. Der Film bricht ab, bevor er dann umgekippt ist … die Gemälde nur s/w zu sehen ist natürlich schade, aber Farbfernsehen gab es damals halt noch nicht. Das Gespräch ist recht interessant (soweit ich folgen konnte), und Bacon spricht leidlich gut Französisch.
Das Baldwin-Portrait dann ist enorm eindrücklich – und hält uns leider auch 60 Jahre später einen immer noch hochaktuellen Spiegel vor. Er reflektiert über das Zusammenleben der Schwarzen mit den Weissen, sein Aufenthalt in Leukerbad ist dafür der Auslöser. Baldwin spricht auch über die Begegnungen mit den Dorfbewohnern, die Reaktionen der Leute auf den ersten Schwarzen, wie die Kinder ihm ständig das N-Wort hinterhergerufen hätten und was das in ihm ausgelöst habe usw. Den Film gibt’s natürlich auch im Netz, auc auf YT wie es scheint, aber auch ganz offiziell hier:
https://www.rts.ch/archives/1962/video/un-etranger-dans-le-village-26181527.html
Das Portrait über die mir bisher nicht bekannte Louise Nevelson ist dann natürlich in Farbe gedreht worden und auch viel aufwändiger produziert. Gespräche im Atelier und in Werkstätten, eine Fahrt in den Ort ihrer Jugend, wo ihre Kunst inzwischen auch beachtet und ausgestellt wird, ein Besuch in ihrer Wohnung, eine Fahrt zur Schweisserei, die ihre Metallplastiken zusammenmontiert, Besuche bei Ausstellungsvorbereitungen in Museen, beim Empfang in einer Firma, die eine Plastik für den Firmensitz bei ihr in Auftrag gab usw. Aufnahmen aus dem World Trade Center, wo irgendwo im Eingangsbereich eine grosse Wandplastik aus Holz (mit Eisengerüst, wie sie erzählt) hing … und irgendwann lapidar ihre Bemerkung, dass ihre Kunst eine Spiegelung von New York sei – was ich längst schon gedacht hatte. Aber eilig hat es Koralnik ja nie, er lässt die Bilder sprechen, die Handlungen sich entfalten, beobachtet zurückhaltend aber sehr genau. Ich bin beeindruckt von diesem Werk, von dem ich bisher nur „Anna“ kannte (mit dem ich leider kein Wiedersehen hinkriege, er läuft oder lief in der aktuellen Reihe gerade auch wieder).
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