Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Ach so, das war mir alles nicht so klar, aber in den Liner Notes zum Reissue streicht Art Hilgart (kenne ich nicht, kommt aus der Broadway-Ecke, nicht vom Jazz) den wesentlichen Unterschied von Rodgers/Hart vs. Rodgers/Hammerstein II heraus: Hammerstein hat zu Rodgers in seiner Einleitung zum Album als „a composer for plays“ bezeichnet, doch das sei für die Arbeit hart Hart nicht wirklich zutreffend, denn in dieser Zeit (ab den Zwanzigern) sei eine Show (ein „play“) oft nicht viel mehr als eine Ausrede dafür gewesen, ein paar neue Songs vorzustellen (mit den üblichen drei Paaren: den jungen ingénues für die Liebeslieder, einem komischen Paar für die cleveren Songs und einem älteren Paar für die komischen/lustigen Songs. Zur Zeit von Hammerstein II. fing es mit den Texten an, die Rodgers dann vertonte, bei Hart war es noch umgekehrt: Rodgers schrieb Melodien und Hart textete dann. Wilder schreibt (in seinem Buch, aber hier via Hilgart), Rogers‘ Songs „show the highest degree of consistent excellence, inventiveness, and sophistication,“ und zwar nicht in Bezug auf Form oder Harmonie, so Wilder, sondern was die melodischen Qualitäten angehe. Hilgart weiter: „Rodgers‘ jazzlike themes and phrasing are perhaps a good reason that jazz musicians have become fond of Rodgers and Hart. The Gerry Mulligan–Chet Baker recordings of ‚My Funny Valentine‘ and ‚The Lady Is a Tramp‘ mostly use the composer’s notes, for example, and the melody of ‚Have You Met Miss Jones?‘ has the quality of a Bix Beiderbecke solo. With Hart, Rogers’s music came first, while with Hammerstein, the music came after the lyrics and was written for the dramatic content of the play. Perhaps these constraints are the reasons his melodies with Hart have more jazz.“

Das leuchtet mir sofort ein … auch angesichts eines schönen Albums wie „The King and I“ von Wilbur Harden: das Zeug ist alles furchtbar holprig und echt keine kongeniale Vorlage für das, was die Musiker damit anstellen … der Flow der tollen Melodien ist bei Rodgers/Hart definitiv eine Qualität, die sie heraushebt. „Have You Met Miss Jones“ finde ich ein perfektes Beispiele dafür, andere sind vielleicht „I Didn’t Know What Time It Was“, „I Could Write a Book“, „Where or When“, „Little Girl Blue“, „My Romance“, „It Never Entered My Mind“, „With a Song in My Heart“, „You Took Advantage of Me“ … es sind wirklich viele!

Was mich an den Arrangements manchmal etwas stört ist vielleicht, dass Bregman halt manchmal gegen diesen Flow arbeitet, irgendwelche Polka-Geschichten drunter legt, auch gern mal bei Balladen. Da, wo es eine fliessende Jazz-Begleitung gibt, sind die Arrangements hingegen oft kaum der Rede Wert (ein paar Riffs, die halt von einem Horn, einer Flöte, einer Oboe, einem Englischhorn und einer Bassklarinette oder einem Fagott gespielt werden, vielleicht noch mit einer semi-jazzigen Klarinette) … aber das hätte man dann geradeso gut als Combo-Album machen können. Barney Kessel, Joe Mondragon und Alvin Stoller sind hier immer dabei, wenn es ein Piano gibt, übernimmt dieses Paul Smith (und der hat auch die Stücke in der gerade genannte Besetzung arrangiert, on denen es vier gibt, plus zwei mit der Trompete von Ray Linn als eine Art Power-Sweets-Wiedergänger). Als Combo-Album hätte das alles natürlich nicht ins Konzept von Granz gepasst … und nicht den Anspruch der Songbooks-Reihe erfüllen können, die ja offensichtlich nicht einfach so entstand: die Sessions zum Rodgers/Hart-Songbook sind vom August 1956, das Porter-Songbook war im Februar und März entstanden, Ellington folgte schon im Juni bis Oktober 1957, Berlin dann im März 1958 … zumindest die ersten beiden Runden liegen so nah, dass ich davon ausgehe, dass Granz die Fortsetzung von Beginn an im Auge hatte (vermutlich von Verkaufszahlen und sich daraus ergebenden budgettechnischen Möglichkeiten abhängig).

Was die Arrangeure angeht, ist vielleicht Paul Weston (Berlin) mein Schlusslicht, Riddle mein Favorit, vor May, und Bregman dann zwischen May und Weston. Schlecht ist das ja alles echt nicht, man kann’s sicher auch so drehen, dass die ganze Reihe dadurch gewinnt, dass nicht einfach Jazzer angeheuert wurden (z.B. die Basie-Leute, die Granz ja problemlos hätte kriegen können, nehme ich an: Hefti, Wilkins, Quincy Jones, oder auch Benny Carter oder so … oder Jimmy Giuffre, für die letzten Runden auch Gary McFarland?) – ich weiss es nicht, ich will mir auch gar keine Parallelversion der Alben mit nur Jazz-Arrangements vorstellen, sie sind super, wie sie sind, auch wenn von den musikalischen Umrahmungen nicht alles an mich geht. (Und klar, Ellington erwähnte ich gar nicht erst, ist ja eh klar, dass niemand ausser ihm und natürlich Billy Strayhorn sein Zeug arrangieren konnte, und da ist der Jazz-Gehalt dann auch echt keine Frage, die sich stellen würde … die Lyrics schon eher manchmal ein Thema, auf das man den Finger halten könnte, weil sie holprig oder unelegant sind – und manchmal corny).

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