Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Dienstag im Kino:

I Wish I Knew (Jia Zhang-ke, CN 2010)

The Saddest Music in the World (Guy Maddin, CA 2003)

Gestern im Kino:

Careful (Guy Maddin, CA 1992)

A Touch of Sin (Tian zhu ding) (Jia Zhang-ke, CN/JP/FR 2013)

Zum Glück bin ich beide Male für die zweite Vorstellung geblieben … ich hätte nach einem der schönsten Zhangke-Filme einen der besten von Maddin verpasst (Favorit neben „The Forbidden Room“ und „My Winnipeg“) … und ich hätte einen weiteren grandiosen Zhangke verpasst – von den bisher gesehenen neben „Pickpocket“ der erste Spielfilm im engeren Sinn. In „I Wish I Knew“ croont Dick Haymes den Titelsong, während auf der Leinwand die Geschichte Shanghais erzählt. Jia Zhangke tut das, „indem er Revolutionär:innen, Industrielle, Werktätige, Künstlerinnen und Künstler usw. aus mehreren Generationen interviewt. Ihren von Krieg, Exil und Rückkehr geprägten Schicksalen stehen Aufnahmen der chinesischen Megastadt gegenüber, durch die sich Zhao Tao schleicht, als Geist aus der Vergangenheit, den Stimmen lauschend, die für immer im Limbus der Geschichte verloren sind“ (Visions du Réel, Apr 2011). Die unzähligen Interviews setzen sich zu einem faszinierenden Panoptikum zusammen, in dem z.B. auch Antonionis Film zur Sprache kommt (einer, der ihn beaufsichtigen sollte und bei Locationsuche usw. half, kommt zu Sprache – der hatte danach ein ziemliches Problem).

„A Touch of Sin“ (der englische Titel stammt von Jia Zhangke und ist auch eine Verneigung vor „A Touch of Zen“, den ich natürlich nicht kenne – habe überhaupt keine Ahnung vom chinesischen Kino) ist dann ein vierteiliger Episodenfilm, der im gegenwärtigen China spielt und auf Nachrichten basiert, die in Social Media so schnell verbreitet wurde, dass sie schon von vielen Menschen gesehen wurden, bevor das Regime sich seinen Spin überlegt hatte und die Zensur zuschlagen konnte … die vier Episoden setzen sich – trotz, wegen, mit ihren heftigen, teils unvermittelten Gewalteruptionen – zu einem vielschichtigen Gesellschaftspanorama zusammen.

„Careful“ ist eine Art Alpensatire, eine Inzestgeschichte mit rivalisierenden Brüdern und anderen doppelgesichtigen Menschen (die Janus-Statuen-Episode aus „The Forbidden Room“ grinst herein) vor grotesker Berg-Kulisse, in der es einen Grafen gibt, eine Grube, eine Butler-Schule der Art des Instituts Benjamenta aus Robert Walsers „Jakob von Gunten“ … auch das ein toller Film, keine Frage. Aber „The Saddest Music of the World“ ist schon ein anderes Kaliber! Dass es da als Vorfilm noch den irren „Send Me to the ’Lectric Chair“ (Guy Maddin/Isabella Rossellini, CA 2009) gab, passte natürlich perfekt.

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