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Apropos Marshall Allen, mir ist da noch was eingefallen:
King Khan (bürgerlich Arish Ahmad Khan) ist ein indisch-stämmiger Kanadier, der seit einiger Zeit in Berlin lebt. Ich kann mich vage erinnern, King Khan vor vielen Jahren im White Trash-Club (eine Art Burger-Restaurant mit Live-Musik) gesehen zu haben. Am Ende spielte er nur mit einem Slip und – ich glaube – einem Turban bekleidet auf dem Tresen tanzend Gitarre. Eine Mischung aus Little Richard und Bollywood.
Ich habe sein Treiben jedoch nie weiterverfolgt. Irgendwann habe ich aber mal entdeckt, dass er neben vielen anderen musikalischen Projekten ein Album mit Beteiligung von – festhalten! – Marshall Allen und Knoel Scott vom Sun Ra Orchestra aufgenommen hat. Wie es dazu kam, ist mir rätselhaft, aber King Khan tanzt wohl auf vielen Hochzeiten und hat als nicht nur musikalischer Kosmopolit offenbar Freunde in aller Welt.
King Khan – The Infinite Ones (2020)
Die zwei Stücke mit Marshall Allen und Knoel Scott sind offensichtliche Sun Ra-Hommagen, mit den anderen 9 Stücken erweist King Khan anderen Idolen die Ehre:
„These compositions have all come from this place inside my bipolar, seroquil ridden mind. It is as much a tribute to the great composers who have inspired me; Alice Coltrane, Rahsaan Roland Kirk, Philip Kelan Cohran, Bernard Herrmann, Ennio Morricone, Miles Davis, Sun Ra, John Carpenter, Quincy Jones, Old Bollywood, Film Noir, to name just a few.“
Ein bunter Reigen also. Mal sind die Bezüge klar erkennbar, mal weniger, mal mischt sich das auch. Alles in allem klingt das weniger wirr, als es sich hier lesen mag und ergibt deutlich mehr als die Summe seiner Teile. In meinen Ohren sehr gelungen, spannend und unterhaltsam – dazu muss ich selbst nicht auch eine bipolare Störung haben, aber mein multipel gespaltener Musikgeschmack ist da durchaus hilfreich. Jazz, Exotica, Filmmusik, alles drin. Erinnert mich an John Zorns Herangehensweise, der ja auch oft Musik aus völlig unterschiedlichen Kontexten verwurstet.
Ein bisschen Humor sollte man hier als Hörer mitbringen. Den hatten die song and dance men Sun Ra und Rahsaan Roland Kirk sowieso. Da ist King Khan in guter Gesellschaft.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)