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Und dann springt plötzlich Timothée Chalamet auf die Bühne. Der Saal ist 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn erst gut zur Hälfte gefüllt. Aber die, die schon da sind, können ihr Glück kaum fassen und zücken die Handys. Schließlich werden hier für gewöhnlich nur ganz unglamourös Star-befreite Wiederholungen aus dem Berlinale-Programm geboten. Doch Chalamet, der eigentlich schon auf dem Weg zum Flieger zurück in die Staaten ist, will sich diesen Fan-Service nicht nehmen lassen. In seiner kurzen Ansprache macht er sich vor allem über den bescheuerten Namen der zum Kino umfunktionierten „Uber Eats Music Hall“ lustig – und darüber, dass ausgerechnet an diesem trostlosen Ort des Kommerzes ein Film über die Ikone der Gegenkultur, den Meister der Verweigerung gezeigt wird: „That’s so 2025!“ Man könnte ihm zurufen, dass Dylan selbst gerade erst vor wenigen Monaten drei (fantastische) Konzerte an gleicher Stelle gegeben hat, freut sich jedoch viel zu sehr über den launigen Vortrag, um den Moment zu zerstören. Rückblickend war dieser dann auch schon der Höhepunkt des Abends. Denn „A Complete Unknown“, das folgende Biopic, in dem James Mangold mehr oder weniger akkurat die Ereignisse von Dylans Ankunft in New York 1961 bis zum ersten elektrischen Auftritt auf dem Newport Folk Festival 1965 rekapituliert, macht deutlich weniger Spaß. Jury-Präsident Todd Haynes dürfte froh sein, dass der Film außerhalb des Wettbewerbs in der „Berlinale Special“-Sektion gezeigt wird und also von seiner Jury nicht bewertet werden muss. Weil das alles filmisch so läppisch und bieder inszeniert ist, als hätte es Haynes‘ „I‘m Not There“ nie gegeben. Der Forums-Folklore huldigend, könnte man sagen: James Mangold hat Bob Dylan nicht verstanden. Immerhin ist Chalamets Dylan-Mimikry durchaus ein Ereignis – und ein goldener Oscar dürfte ihm dafür deutlich wichtiger sein als ein Bär. Ansonsten hat man leider den Eindruck, der Blaupause von „Bob Dylan – das Musical“ beizuwohnen, da der Film in etwa so seelenlos wie die Mehrzweckhalle ist, in der er gezeigt wird, und Mangold sich einfach nur unbeholfen von Gassenhauer zu Gassenhauer entlang hangelt. Damit freilich stünde einer triumphalen Rückkehr in den „Berlinale Palast“ (der ja eigentlich ein Musical-Theater ist) nichts mehr im Wege. In hier üblichen Bewertungskategorien: 4,5/10 (oder **1/2).
Weiterhin auf der Berlinale gesehen:
Welcome Home Baby (Andreas Prochaska): Folk horror the austrian way, irgendwo zwischen „Wicker Man“ und „Rosemary‘s Baby“. Es ist ein weiter Weg von der naturalistischen Entbindung in einem Neuköllner Treppenhaus zu Beginn bis zum finalen, paganen Geburtstitual in einer österreichischen Dorfgrotte. Und man geht ihn als Zuschauer gerne mit. 7/10 (***1/2)
Peter Hujar‘s Day (Ira Sachs): Watch this, James Mangold! 8/10 (****)
Restitucija, Ili, San I Java Stare Garde (Želimir Žilnik): 7,5/10 (****)
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