Antwort auf: David Murray

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gypsy-tail-wind
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Wie meinst Du das @vorgarten? So viele Lücken habe ich das ja nicht, und eben: die einstige Begeisterung für D.D. Jackson hat sich trotz vieler Jahre Distanz eingeprägt … die drei langen Stücke – „Seasons“, „Peace-Song“ und das Solo am Ende – finde ich wirklich phantastisch! Ich fand das jetzt z.B. eine viel naheliegendere und attraktivere Wahl zur Ergänzung meiner Bestände, als irgendwas mehr aus Thiele Küche. Eine andere Lücke, die ich um den Dreh rum auch noch füllen möchte, ist „David Murray Quintet with Ray Anderson and Anthony Davis“ … und etwas mehr Hugh Ragin (ich hab annähernd null) würde auch nicht schaden, von Özay reichte mir das Hören in der Tube, sonst ist in den Neunzigern nicht mehr viel dabei, was ich überhaut nicht kenne (Oktett mit Dead, Dennerlein, die zwei Duo-Alben von Jackson, Jeri Brown … und das Love Supreme-Album von Cyrille, das ich natürlich auch gerne hören würde. Nebst unserer gemeinsamen grossen Lücke „Flower Around Cleveland“. (Trivia: die Jackson-CD – und ein paar jazzwerkstatt Nachkäufe, zu denen ich bald kommen werde – kamen vom Walter Benjamin-Platz, von Old School, wo wir ja zusammen kurz drin waren.)

Statt gestern noch das hier nachzulegen merkte ich zum Glück noch rechtzeitig, dass ich vor dem Abendkonzert in der Tonhalle auch noch eine Karte für eine Aufführung von „Palais de Mari“ von Morton Feldman hatte … und brach dann mittendrin ab. Jetzt also nochmal von vorn:

vorgarten

live at the village vanguard (1995/2000)

murray in new york mit hilton ruiz, kelly roberty und pheeroan aklaff. standardausstattung von murray live, der normalfall: ein tenorsax (und eine bassklarinette), ein klavier, ein bass, ein schlagzeug. genauso habe ich ihn damals auch gesehen (mit anderen musikern). das material wird vom geglätteten elektrofunk wieder ins akustische zurückübersetzt („the desegregation of our children“, „acoustic octofunk“ von JUG-A-LUG), dazu kommt zwei klassiker aus dem murray-buch, „red car“ (ein blues) und „hope/scope“. das ist so genau mein ding: klare verabredungen und freigeistige abwege, die band hat den sound und den club im griff und gleichzeitig machen vier individualisten ihr ding und lassen sich endlos und für sich studieren. ein großes glück, murray mal mit ruiz zusammen zu hören, der von gospel bis cecil taylor alles abrufen kann, was das instrument bis dato hergibt, und damit so eigenwillige plateaus und spitzen baut, dass die anderen völlig anders auf ihn reagieren wie auf den leader, und dabei in seine latin-trademarks nur dann fällt, wenn es den zusätzlichen kick braucht. blues, ballade, funk, free – das kommt aus einer quelle, changiert die ganze zeit zwischen in und out, und lässt noch die stimmung des abends hinein. für mich eine ganz große kulturleistung. und das meisterwerk ist die ballade.

Da brauch ich wirklich nichts zu ergänzen – das ist eine umwerfende Aufnahme! Die Ballade wirklich ein ganz grosses Highlight! DIe Band klingt super, der Bass trocken, die Drums konzise und doch all over the place, das Klavier saftig und knackig und so gut für Murray geeignet wie Dave Burrell oder John Hicks … das geht wie @vorgarten schreibt in alle Richtungen und ist doch total stimmig. Dem Quartett gehen auch bei den beiden über 20minütigen Performances (die Ballade und der „Acoustic Octofunk“) nie die Ideen aus, ganz im Gegenteil, es geht immer weiter, wird immer toller … eine echte Entdeckung, diese Aufnahme!

Kleine Frage zur Tracklist: #4 ist „Hope/Scope“ und „Obe“ (Butch Morris), das auch noch auf dem CD-Rückcover steht, ist gar nicht dabei, ja?

Der Sound der Aufnahme ist nicht wirklich optimal, Ruiz ist etwas leise im Mix, was gerade im langen Trio-Intro zu „Acoustic Octofunk“ echt schade ist. Die Drums klingen allerdings recht gut und Bass sogar ziemlich phantastisch – und Kelly Roberti, der unbekannte Mann hier, spielt hervorragend (keine Überraschung, mir ist der Name dank Dime seit 25 Jahren geläufig, bin mir ziemlich sicher, dass es auch schon dank Aufnahmen mit Murray dazu kam – er wurde leider nicht alt: 1954-2016). Für einen Live-Mitschnitt ist der Sound aber schon okay, zumal das Gesamtpaket wie ein Bootleg aussieht (ich kann das hier nicht einschätzen, Sound Hills hat alles im Angebot, von seriösen Eigenproduktionen über Lizenz-Ausgaben bis zu ziemlich klaren Bootlegs).

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