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If This Ain’t the Blues ist der Titel vom dritten und letzten Rushing-Album für Vanguard, aufgenommen am 5. März 1957 mit einer Crew aus bekannten (Emmett Berry, Vic Dickenson, Buddy Tate, Aaron Bell, Joe Jones) und neuen Namen (Pianist Clarence Johnson – oder Charlie Johnson, ein praktisch unbekannter Musiker, wie es scheint – sowie die mässig talentierten Marlowe Morris an der Orgel und Roy Gaines an der elektrischen Gitarre). Zu Clarence Johnson schreibt Thomas W. Cunniffe etwas mehr im Booklet: dass es wie bei Discogs behauptet, derselbe Musiker ist, der als Pianist von Louis Jordan bekannt ist, scheint überhaupt nicht klar. Noch schlimmer bei Tom Lord, da gibt es anscheinend einen Eintrag des Namens, unter dem dann u.a. ein Posaunist, ein Drummer und ein Saxophonist auftauchen, die von 1923 bis 2017 aufgenommen haben. Johnson spielt oft im Diskant, um keine Kollisionen mit der sehr flächigen Orgel von Morris zu erzeugen. Gaines mischt munter Blues und Jazz und Rock’n’Roll – setzt das alles durchaus gekonnt ein. Morris ist allerdings wirklich nicht gut (leider eine Konstante, sein Name schreckt mich eher ab, aber es gibt halt Sessions – wie diese hier oder „Jammin‘ the Blues“, wo er zum Glück am Klavier weniger Schaden anrichtet, einfach langweilt – auf denen man ihn in Kauf nimmt). Manchmal treibt er die Band ganz gut an, aber oft ist er schmalzig und rhythmisch ungelenk. Dennoch ist das Album am Ende hörenswert, denn die geballte Energie der Band treibt Rushing an, und dass er nicht mehr nur Blues sondern auch Standards und Originals singt, hebt das Album von den Vorgängern ab. Nach dem alten Klassiker „Dinah“ zum Einstieg (mit gutem Dickenson) ist „Oh Love“ eine attraktive Mischung aus Blues (die Lyrics), Jazz (die Changes) und Rock’n’Roll (die E-Gitarre und die Bläser-Soli). In „Sometimes I Think I Do“ singt Rushing nicht in das Gesangsmikrophon – und klingt weniger präsent, etwas knurrig. „Pennies from Heaven“ klingt hier nicht – wie üblich – optimistisch, sondern „downright depressing“ (Cuniffe) – und setzt damit die seit „Oh, Love“ vorherrschende Stimmung fort. Rushing bleibt halt ein Blues-Sänger (oder -Shouter wie in „Sometimes I Think I Do“), auch wenn er Standards singt. Nach feinen Soli von Tate und Berry werden sich Dickenson, Morris und Rushing nicht einig, wer nun den Lead übernehmen soll, retten das Stück aber irgendwie mit Riffs zwischen einzelnen Gesangszeilen und einem guten Finish.
Die zweite Hälfte öffnet mit „My Friend, Mr. Blues“, eine bluesige Gitarre, Riffs der Bläser, Stop-Time und ein shoutender Leader. Tate spielt ein rauchiges R & B-Solo, Morris ist schon hier in der Begleitung recht gut und wird unter Berrys Trompete noch besser – wo dann auch Jo Jones stellenweise richtig aktiv wird – und das wiederholt sich hinter Dickenson wieder. Die Bläsersoli werden jeweils von einem Rushing-Chorus unterbrochen – eine gute Arrangement-Idee … und am Ende soliert Gaines über dem Ensemble. „If This Ain’t the Blues“ wäre dann auch auf dem Vorgänger-Album gut untergebracht gewesen. Gaines rifft zum Auftakt, Tate und Berry folgen, Morris enttäuscht zwar im Solo, ist aber hinter Berry wieder ziemlich gut. Der Gospel-Groove mit Orgel und Händeklatschen in „I Can’t Understand“ hebt nicht richtig ab. Gaines spielt hier eine klassische 4-to-the-bar Rhythmusgitarre – und es braucht erst Rushing, um das alles zum Leben zu erwecken. Zum Ende gibt es mit „Take Me with You Baby“ dann noch einen klassischen Blues, bei dem Rushing nur von der Rhythmusgruppe begleitet wird – Johnson und Gaines kommen einander immer wieder mal in die Quere, aber Gaines spielt dann ein ganz gutes Solo. Em Ende steigen die Bläser noch mit einem Riff ein, doch das wird alles etwas kakophonisch, so dass Page/Jones ihre liebe Mühe haben, den Beat unter Kontrolle zu behalten.
Ein eigenartiges, uneinheitliche Album mit starken Momenten, Charme und Schwächen, oft alles innerhalb weniger Minuten im gleichen Stück vereint – und sicher das schwächste der drei Vanguard-Alben von Rushing.
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