Antwort auf: Vanguard Jazz Showcase (1953–1958)

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Listen to the Bues with Jimmy Rushing heisst das zweite der drei Alben des ehemaligen Basie-Sängers, das für Vanguard entstanden ist – jetzt von Beginn im 12″-Format, aufgenommen am 16. August 1955. Emmett Berry, Lawrence Brown, Rudy Powell (as/cl) und Buddy Tate sind die Bläser, mit Freddie Green, Walter Page und Jo Jones ist die Basie-Rhythmusgruppe fast komplett, am Klavier sitzt allerdings ein anderer Veteran: Pete Johnson, ein Boogie-Woogie-Spezialist, ebenfalls aus Kansas City. Er ist im Opener so geschäftig, dass er fast den Leader übertrumpft, nur hinter Buddy Tates tollem Solo beruhigt sich sein Spiel ein wenig. Auf den folgenden Stücken ist Johnson dann weniger dominant – vermutlich hat ihn jemand darauf hingewiesen, dass es sonst nicht so gut kommen würde. Tate ist auf diesen Sessions immer wieder hervorragend, auch gleich auf dem zweiten Stück wieder, „It’s Hard to Laugh or Smile“ – und Johnson spielt ein zurückhaltendes, aber hart swingendes Solo über den tollen Groove der Rhythmusgruppe. Das dritte Stück stammt dann direkt von Basie, der es drei Monate früher mit seinem neuen Sänger Joe Williams aufgenommen und einen grossen Hit damit gelandet hat: „Every Day (I Have the Blues)“. Rushings Version entfacht nicht die Kraft der Vorlage, aber ist ein ziemlich toller Jam mit starken Solisten, von denen der ehemalige Ellington Posaunist Brown vielleicht besondere Erwähnung verdient. Auch „Evenin'“ stammt aus dem Basie-Repertoire – allerdings in diesem Fall aus der Zeit, als Rushing Sänger der Band war. Der Groove ist mittlerweile eingeschliffen, Powell (am Sax) und Johnson wechseln sich im Lead der Begleitung hinter dem Sänger ab und Powell setzt dann über einen Two-Beat-Groove des Pianisten zum stompenden Solo mit aufgerauhten Ton an – das Stück ist mit siebeneinhalb Minuten das längste hier und bietet wieder Raum für ausgedehnte Soli, die von der Rhythmusgruppe toll begleitet werden. Das sind Grooves, die endlos weiter laufen können.

Powell ist im langsamen „Good Morning Blues“ („Yeah, it’s Christmas time, and I wanna see my sunny Claus … Sunny Claus, sunny Claus, listen to my plea, don’t send me nothin‘ for Christmas, but my baby back to me“), der die zweite Albumseite eröffnete, wie schon im Opener des Albums an der Klarinette hinter dem Sänger zu hören – sehr passend und stimmungsvoll. Dann übernimmt Brown und Johnson ist ziemlich aktiv, aber ohne alles zuzudecken. Emmett Berry soliert dann als erster – das nicht zum ersten Mal und obwohl ich ihn bisher nicht erwähnt hatte, ist er stets verlässlich. Das sind eine ums andere tolle Interpretationen einer wirklich gut abgestimmten Band voller eigener Stimmen – und wenn Rushing nicht mehr so elegant klingt wie 15 Jahre früher, ist das ob seines Charismas locker verkraftbar. „Roll ‚em Pete“ ist dann das Feature für den Pianisten. Der hat es mit Joe Turner geschrieben, doch Rushing singt hier gar nicht mit, spornt Johnson nur ein paar Male an, was angesichts von dessen überbordender Energie eher überflüssig scheint … ein endloser Fluss an Boogie-Läufen und Ideen, mit einem tiefen Bass in der Linken, unter dem Page mehr gefühlt als gehört werden kann. Die Bläser riffen ein paar Mal kurz, Jones entfacht ein paar Feuerwerke, die rhythmisch in einen verzögerten Dialog mit Phrasen des Pianisten treten. „Don’t Cry Me Baby“, ein langsamer Blues, beginnt Brown mit seiner singenden, majestätischen Posaune – einer der schönsten Sounds auf dem Instrument in all den Jahren, von Ellington bis Impulse. Tate folgt – und in seinem Solo wird die Stärke des Raumklangs dieser Sessions wieder einmal sehr deutlich: ein kompakter Ton, aber mit so schönem natürlichen Hall eingefangen, dass das ein wenig an Ben Webster erinnert. Erst dann hören wir Rushing, von Johnson und Green exzellent gebettet. Berry ist dann wieder direkt nach dem Sänger dran, zurückhaltend und den Ton allmählich öffnend. Dann ist Rudy Powell an der Reihe, dieses Mal mit kompakt singendem Ton, den er erst am Ende etwas aufrauht – und Ideen, die ziemlich modern wirken, ein starker Kontrapunkt zu den anderen. Am Ende des ziemlich langen Albums (44 Minuten) stehen nochmal zwei kurze Stücke, „Take Me Back Baby“ aus dem Repertoire der alten Basie Band (starke Soli von Johnson und Brown zum Einstieg) und ein loser Jam, dem man den Titel „Rock and Roll“ gab – mit generischen Lyrics: „We’re gonna rock, we’re gonna roll this joint tonight“. Hier prallt der Boogie Woogie vom Energiebündel Johnson noch einmal auf die Basie-Rhythmusgruppe und es gibt kurze Soli von allen, mit Riffs und Zwischenspielen von Rushing. Ein rauschendes Finale dieser tollen, 45minütigen Platte.

Bei dieser Session wurde zu Beginn – wie schon erwähnt, weil Rushing praktischerweise verspätet auftauchte – „Caravan“ für die Jo Jones LP eingespielt, für die noch etwas Material benötigt wurde. 1967 erschien die Platte mit alternativem Cover wieder (oben). Hübsch auch das Cover einer 10″-Ausgabe (minus „Evenin'“, „Roll ‚em Pete“ und „Don’t Cry Baby“ – also keineswegs zu empfehlen!) aus dem UK (unten, von 1957, ein Jahr nach den ersten Ausgaben in den USA gemäss Discogs).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba