Antwort auf: Ich höre gerade … Blues!

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friedrich

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Beiträge: 5,160

Erlaube mir mal, diesen alten post von Dir aus dem Sterne-Thread hierher zu kopieren:

@zojiBei Scotts Gesang habe ich immer einen schmierig-frettchenhaften Criminal vor Augen (optisch etwa Steve Buscemi in Fargo), der nach einem schmutzigen Hinterhof-Kampf seinem am Boden röchelnden Gegner im Fortschlendern noch beiläufig einen Tritt in die Nieren verpasst. Johnson klingt für mich vergleichsweise wie der Schulhof-Bully der Mädchen an den Zöpfen zieht (ich bin alt) und der zum azubimobbenden Automechaniker heranreift. Im realen Leben beides verwerflich (bis auf Johnsons imaginäre Berufswahl), in der Kunst ein Kantersieg für den erstgenannten. Gut gefiel mir allerdings der irgendwo mal aufgeschnappte Vergleich Scotts mit einer keckernden Großmutter, auch wenn es meiner Assoziation diametral entgegensteht steht.

Besser kann man es nicht sagen. Das ist Literatur!

Meine eigene AC/DC-Initiation ist eigentlich total peinlich. Ich setze mich damit zwischen alle Stühle und mache mich vor wirklich allen lächerlich.

Also: Ich hatte in den 2000ern mal eine Freundin, die war nicht nur eine Leseratte, sie ging auch leidenschaftlich gerne ins Theater. Ich hingegen lesefaul und Kinogänger. Aber auf was lässt man sich nicht alles ein? Ich lasse mich also in die berliner Schaubühne zu einer Aufführung von Georg Büchners Woyzeck schleppen. Ich fand die Inszenierung damals sogar ziemlich gut, kann mich aber heute kaum noch daran erinnern. Aber eins ist haften geblieben: In einer Szene wurde AC/DCs Dirty Deeds Done Dirt Cheap gespielt. Das packte mich sofort und ich stampfte im Theater mit dem Fuß mit. Wie andere Zuschauer in diesem Musentempel das wahrgenommen haben? Besser nicht fragen …

Hier kann man einen Trailer dieser Inszenierung (mit AC/DC) sehen.

Gefühlt habe ich am nächsten Tag sofort eine alte CD von Dirty Deeds gekauft und wurde so zum spät bekehrten AC/DC-Jünger. Die auf Dirty Deeds folgenden Alben Let There Be Rock, Powerage und Highway To Hell habe ich mir wenig später angeschafft.

Und noch eine Anekdote: Ich spiele gerne Boule (oder Petanque, Boccia …) und treffe mich in der warmen Jahreszeit all-freitagabendlich in Kreuzberg mit einer bunten Schar Gleichgesinnter, deren Alter von 8-80 und deren sozialer Status von Hartzer bis Professor reicht, zu einem Turnier. Wenn ich „im Kreis“ stehe und alle schauen mich an, wenn ich eine Kugel möglichst gezielt und geschickt werfen muss, dann höre ich in meinem geistigen Ohr Walk All Over You von Highway To Hell. Das strahlt so ein felsenfestes Selbstvertrauen, so eine Entschlossenheit, so eine Kraft und Konzentration aus, es hat so einen unbeirrbaren Rhythmus! Das hilft!

Und beim heutigen Kopfhörer-Probehören im Hifi-Fachgeschäft war das auch eins der Stücke, die ich mir anhörte. Wenn es um kraftvollen und satten Klang geht, gibt es nichts besseres.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)