Antwort auf: blindfoldtest zum jahresende

#12419099  | PERMALINK

vorgarten

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gypsy-tail-wind
2-1 | Da braucht es die Trompete, damit ich Zugang finde, das Intro ist nervöser kühler Bebop (oder boppiger Cool) und klingt dabei doch mehr nach Thornhill als nach Miles Davis‘ Tuba-Band. Aber die singende Trompete – ein Kornett vielleicht? – ist super. Und dann nach dem Gitarrensolo (hübsch, packt mich aber nicht wirklich) und den Überleitungen (inkl. ein paar steife Aktionen des Drummers) ein paar hübsche Takte eines – sehr leichten – Tenorsaxophons. Je länger das läuft, desto besser gefällt es mir. Die Posaune führt dazu, dass ich an Mingus 1953/54 denke, aber dafür ist die Band zu gross, die Sax-Section zu weich arrangiert. Ist das hintenraus ein Altsax oder nochmal derselbe Tenorsaxer? Letzterer, denke ich … also abgesehen vom Gitarrensolo einfach die zwei Lead-Bläser? So direkt keinen Plan, wer die Leute sind, aber das ist bestimmt längst identifiziert.

bei der soloabfolge verliert man leicht den überblick. bei freshsound steht auch nochmal was anderes – als gitarrist wird da herb ellis identifiziert. und die folge: collins, ellis, kamuca, meldonian, byers, collins, ellis, pierce, perkins, collins. das spektakuläre hier ist (neben dem erscheinugnsdatum) das arrangement, sowohl in den zwischenspielen wie auch in der begleitung. da ist wirklich sehr viel arbeit hineingeflossen. und ich frage mich warum… und ich weiß nicht, ob wilder jemals etwas besseres geschrieben hat.

gypsy-tail-wind2-2 | Ich höre jetzt einfach mal überall Kornette statt Trompeten … das Sax ist dann sofort als Tenor erkennbar, etwas weniger beweglich, spröder im Ton, eher die Cohn/Sims-Ecke, während das davor eher nach Warne Marsh klang … aber das kann der hier irgendwie auch, wenn er hoch in seine Phrasen einsteigt … ein Chamäleon mit einem Stil, aus dem man drei Saxophonisten formen könnte. Die Trompete gradlinig, weniger faszinierend als im ersten Stück, das wirkt im Vergleich dazu überhaupt – nicht nur die Trompmete – eher etwas professionell dahingespielt als tief empfunden.

ja, aber… hier geht es um die einfachheit, und darum, was man individuelles daraus machen kann. in sich ist das aber auch geschlossen, die atmosphäre bleibt gleich.

gypsy-tail-wind2-3 | Eine brüchige Posaune irgendwo aus der Bert/Dennis/Knepper-Ecke zum Einstieg, schön – und dann noch so ein biegsames Sax (dieses Mal aber wirklich ein Alt, ja? Dass all diese Lester Young-Schüler meinten, sie dürften keine tiefen Töne nutzen – und im Gegensatz zum Vorbild keine Honks spielen mochten – führt da ja schon manchmal zu Verwirrung). Das Schema ist ja irgendwie immer wieder ähnlich, auch wenn der erste Track mit der grössere Band, der Gitarre, den auskomponierten Passagen usw. schon anders funktioniert. Dass das Ende nochmal kurz dialogisch ist – schön.

hört man eigentlich, dass das eine live-aufnahme ist, habe ich mich gefragt? reizvoll für mich: ein frauensong, der hier – isntrumental – eine grundlage für ein wirklich emotionales und emotionalisierendes altsax-solo bietet. immer ja die frage, ob die eigentlich auch den text mitspielen. und da wird es dann ganz schön interessant.

gypsy-tail-wind
2-4 | Okay, die Gitarre kenne ich … K.B.? Sind das immer noch alles Wilder-Stücke? Das hier ist der erste, bei dem ich ziemlich sicher bin, dass das Album im Regal steht … und bekannt vorkommen tut er mir auch. Ach ja, klar – die Orgel, die Gitarre: voilà – dann lautet die Antwort auf die Frage nach Wilder wohl auch ja.

toll, du hast burrell sofort identifiziert? macht sinn. von dem stück gibt es interessanterweise keine vokalversion, die mich begeistert – obwohl es wirklich viele gibt.

gypsy-tail-wind
2-5 | Schön, wie das Piano die Balance zwischen Lounge und Bar hält … eine Leichtigkeit in den Klischee-Figuren findet, sie gleichzeitig spielt und sich über sie erhebt. Auf halbem Weg wird das Mäntelchen der Zaghaftigkeit abgelegt – aber auch nur so halb: ein paar satte Akkorde, eine angedeutete Stride-Figur … und schon ist das zurück in der detachierten Eleganz, die über die glatt polierte Tanzfläche schwebt … ein Stottern kurz vor dem Schluss, ein Rallentando. Das ganze wirkt wie ein Tanz – ein Eintänzer, der einsam durch den Raum schwebt?

schön beschrieben. aber auch hier: toller song, oder? wieder sehr meta, er macht bewusst was falsch. und dadurch wird er ein sophisticated blues. jarrett hat ja dieses stück auch nochmal ausgegraben.

gypsy-tail-wind
2-6 | Da sind dann alle zehn Finger auf den Tasten – Leichtigkeit ist schon auch da, auch Eleganz, aber sie wird vollkommen anders erzeugt. Das Stück kommt mir bekannt vor. Das ist mir aber doch etwas zu dicht, zu blumig – erdrückt fast die Zartheit, die durchaus auch darin angelegt ist, die immer wieder mal aufblitzt, in den Voicings oder wenn die Linke in der hohen Lage eine Linie spielt. Mittendrin wird es fast so dicht, als wären da vier Hände tätig … das finde ich aber doch so interessant, dass ich neugierig bin, mehr hören möchte.

ich bin sehr froh, dass ich das stück ausgewählt habe. das ist auch das tolle, wenn man nicht nach alben hört, sondern nach songs – man macht entdeckungen dabei, im vergleich (so wie brandstand – wie lösen die leute einzelne zeilen, akkordfiguren?). mit diesem herrn hätte ich mich gerne mal über wilder unterhalten: gab es eine spezifische affinität, oder war das für ihn nur ein song unter vielen, an denen er seine methode erprobt hat?

gypsy-tail-wind
2-7 | Bossa, zwei Drummer, ein Blech-Arrangement à la A&M/CTI? Die Melodie an der Gitarre wird immer hypnotisierender … hat auf mich eine Wirkung wie … vielleicht „India Song“? So stelle ich es mir, wenn Jobim Wilder spielt und Ogerman ein Arrangement mit Bob Brookmeyer im Satz schreibt. Toll! Repeat.

und bei dieser addition von unwahrscheinlichen einheiten kommt dann gil evans raus, kein arrangeur, eher ein „zustand“, wie brandstand schreibt. sehr schön auch, dass man den gleichen gitarristen in diesem mix sowohl elektrisch als auch akustisch hört.

gypsy-tail-wind
2-8 | Uff, ein ziemlich Bruch mit dem in your face Altsax – aber super, muss nur mal rasch durchatmen, den Sender neu ausrichten. Die Rhythmusgruppe ist etwas hektisch (die Gitarre interessanter als das Klavier – beides zusammen zu viel, wie so oft … aber die Gitarre auch hinterm Klaviersolo interessant), die Drums spielen mir zu sehr nach vorn, das fliegt für mich fast auseinander … ach, eine Trompete ist da auch noch? Wirkt underrehearsed oder fast wie eine Live-Session einer nicht so gut austarierten Band? Aber das Sax finde ich toll – schöner Ton, interessante Linien … und der Rest ist echt nicht halb so übel, wie ich es grad klingen lasse. Die Drums stören mich aber, der Herr hier hat eine Time, die mit mir nicht recht kompatibel ist. Hier sind wir in den Siebzigern, oder? Jedenfalls auch ein Zeitsprung nach den understated Sixties in den Tracks davor. Das Sax wirkt über der Band ein wenig entrückt, wie in einer eigenen Welt – auch am Ende bei der Themenrekapitulation. Das Stück kommt mir vage bekannt vor, aber mehr auch nicht.

auch schön beschrieben. die entrücktheit, das rohe… interessant auch, dass du „while we’re young“ und „i’ll be around“ nicht als songs identifiziert hast – die sind einfach nicht so bekannt, oder? dabei dürften das die einzigen „standards“ von wilder sein, von denen es mehr als 30 aufnahmen gibt.

gypsy-tail-wind
2-9 | Das ist sehr schön … der Pianist singt im Falsett mit und das Klavier erinnert mich ein wenig an Jarrett, ohne dass ich das genauer festmachen könnte, irgendwas zwischen dem Klang (reich an Farben) und der Phrasierung. Das ist ein wahnsinnig süffiges Stück, Changes wie ein Pop-Song oder eine Motown-Ballade oder sowas. Und so wirkt das, als sei’s nach einer Minute schon vorbei. Repeat.

und es gibt einen drummer hier, und der ist hörbar ;-)

gypsy-tail-wind
2-10 | Zum Ausklang noch was Bekanntes – Track 4 von hier, ja? Kann ich als Nicht-Streamer nirgendwo sampeln, die CD ist nicht grad greifbar. — Interessant, wie anders die letzten drei Tracks generell wirken – nicht weniger elegant oder sophisticated, aber irgendwie direkter, flacher, mehr gerade aus, dünkt mich? Sie sind jedenfalls merklich aus einer anderen Zeit als die sieben davor – was auch mit der Aufnahmetechnik zu tun haben mag, den anderen Erwartungen der Zeit, was Klangqualität angeht? Jedenfalls hört sich das für meine Ohren wie ein Bruch an (oder auch mehr denn einer), während davor der Flow aus den Fünfzigern in die Sechziger recht kompakt und in sich stimmig wirkt, bei allen Unterschieden zwischen den Stücken.

diese fehlidentifizierung ist interessant. du hast bei dem thema battaglia erwartet, kein wunder. aber der hat wirklich einen ganz anderen zugang. für mich ein experiment, diese interpretin nach dem singenden genie davor – so richtig kann auch sie sich nicht entscheiden, ob sie die komposition vereinfachen oder verkomplizieren möchte.

danke, schön, dass du noch zum schreiben gekommen bist!

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