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20.09.2024 – Zürich, Tonhalle – Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Víkingur Ólafsson Klavier
JOHANNES BRAHMS: Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15
ANNA THORVALADSDOTTIR: «Archora» für Orchester
IGOR STRAWINSKY :«L’oiseau de feu», Konzert-Suite (1919)
Nachdem die Saison in Basel wie üblich schon während der Sommer-Festival-Zeit startete, begann sie im September dann auch in der Tonhalle. Mit etwas gemischtem Ergebnis, fand ich: Ólafsson hatte etwas Mühe, gegen das Orchester anzukommen, der Klavierpart im ersten Brahms-Konzert blieb etwas undefiniert, aber das war alles sehr schwungvoll, gradlinig auf den Punkt, und machte schon Spass. Die erste Kostprobe der diesjährigen „creative chair“ Anna Thorvaldsdottir gefiel mir dann ziemlich gut – ein flächiges, brummelndes, grummelndes Stück ohne deutliche Anhaltspunkte (darin dem im Temperament sehr anderen Violinkonzert von Czernowin ähnlich), das am Ende ins Nichts verschwindet. Die Komponistin war da, um den Applaus entgegenzunehmen. Das Grummeln, das schon bei Brahms stellenweise wuchtig war, hatte auch damit zu tun, dass die Kontrabässe für einmal ganz hinten unter der Orgel aufgereiht waren, die sich sonst Schlagzeug und/oder Blechbläser teilen. Das führte auch im Abschluss mit Stravinsky zu einem wuchtigen, klar definierten, basslastigen Klang, der mir sehr gefiel – aber mit Stravinsky werde ich bisher nur selten richtig warm, an dem Abend leider auch eher nicht.
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27.09.2024 – Basel, Stadtcasino – Basler Freuden
Kammerorchester Basel
Delyana Lazarova Leitung
Anastasia Kobekina Violoncello
ARTHUR HONEGGER: Pastorale d’été
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI: Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester
HELENA WINKELMAN: «Summer Heat» (Kompositionsauftrag, UA)
HONEGGER: Sinfonie Nr. 4 «Deliciae Basilienses»
Eine Woche später gab es in Basel bereits das zweite Abo-Konzert des Kammerorchesters im Stadtcasino, bei dem Antonio Meneses als Cellosolist angekündigt war – doch Meneses verstarb am 3. August im Alter von 66 Jahren, und so wurde Anastasia Kobekina als Ersatz engagiert. Dass ich mit den Rokoko-Variationen nicht wirklich warm werden sollte, war leider erwartungsgemäss der Fall, die Uraufführung fand ich etwas einfach gestrickt (den Leuten gefiel es aber sehr, so vordergründige Rhythmen wie hier gibt es nicht oft im klassischen Konzert) – blieben die Stücke von Honegger, von denen besonders die Symphonie schon sehr charmant war. Mein Abend war das allerdings nicht (obwohl ich Honegger längst mal vertiefen möchte).
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29.09.2024 – Zürich, Kleine Tonhalle – Kosmos Kammermusik
Golda Schultz Sopran
Peter McGuire Violine
Sayaka Takeuchi Violine
Sarina Zickgraf Viola
Sasha Neustroev Violoncello
CLARA SCHUMANN / ARIBERT REIMANN: Drei Lieder nach Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Vier Sätze für Streichquartett op. 81
JOHANNES BRAHMS «Fünf Ophelia-Lieder» WoO 22 (Arr. für Singstimme und Streichquartett ARIBERT REIMANN)
ELVIS COSTELLO: aus «The Juliet Letters» für Sopran und Streichquartett
Ungewöhnlich spät war dann der Liederabend von Golda Schultz in der kleinen Tonhalle angesetzt – die Rad-WM ging an dem Nachmittag zu Ende, aber da auch an dem Tag noch mit Verkehrsbehinderungen bis 19 Uhr zu rechnen war, begann der Liederabend um 20 statt um 17 Uhr. Kurzweilig, auch recht kurz war das – und ich habe den Verdacht, dass die Reihenfolge umgestellt wurde, Mendelssohn ev. erst nach den Brahms-Lieder gespielt wurde, aber ich kann de Flyer, auf den ich das wohl gekritzelt habe, nicht mehr finden. Jedenfalls war Schultz ziemlich toll, die Begleitung auch ziemlich gut – aber so zu fesseln wie mit ihrer Mozart-CD vermochte die Sängerin mich nicht. Dennoch: feines Repertoire, auch die abgründig schwarzen Songs von Costello, und Schultz kann das alles mit gewinnender Leichtigkeit.
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05.10.2024 – Zürich, Opernhaus – Serse
Serse – Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Unbekannter Librettist nach einem von Silvio Stampiglia bearbeiteten Operntext von Nicolò Graf Minatos
Musikalische Leitung Enrico Onofri
Inszenierung Nina Russi
Bühnenbild Julia Katharina Berndt
Kostüme Annemarie Bulla
Video Ruth Stofer
Lichtgestaltung Hans-Rudolf Kunz
Dramaturgie Kathrin Brunner
Serse Raffaele Pe
Arsamene Christophe Dumaux
Amastre Noa Beinart
Romilda Anna El-Khashem
Atalanta Miriam Kutrowatz
Ariodate Miklos Sebestyén
Elviro Gregory Feldmann
Orchestra La Scintilla
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Eine Woche später dann mein Start in die Saison der Oper … die Wiederaufnahme am Haupthaus der jährlichen Produktion des Internationalen Opernstudios, die im Frühling 2023 in Winterthur Premiere feierte und jetzt – mit hochkarätiger Neubesetzung – auch in Zürich gespielt wurde. Das Orchester war wie üblich toll – mit grosser Continuo-Gruppe, in der unbedingt Claudius Herrmann, Solo-Cellist auch der Philharmonia und obendrein Mitglied im Gringolts Quartett, Erwähnung verdient. Onofri hörte ich nach einem etwas lauwarmen Konzert mit dem Zürcher Kammerorchester im März 2019 erst zum zweiten Mal und dieses Mal war das Gebotene wirklich überzeugend. Das hatte aber viel mit dem Geschehen auf der Bühne zu tun, wo die Handlung von „Serse“ als Sitcom geboten wurde – eine überaus stimmige Idee, fand ich. Rollendebuts gaben alle ausser Feldmann, Pe gab auch sein Hausdebut. Dumaux sang die dankbarere Rolle des Arsamene und war gesanglich vielleicht eine Spur besser disponiert, aber wie schon beim „Tolomeo“ in Basel im Frühling war es ein Erlebnis, zwei so hervorragende Countertenöre gemeinsam in Aktion zu erleben. Die Balance stimmte die meiste Zeit, d.h. es war relativ leise, die Sängerinnen übertrumpften jedenfalls die Countertenöre freundlicherweise nicht, das kam völlig aus einem Guss daher. Das war einerseits sehr vergnüglich, wie das Foto (Toni Suter, opernhaus.ch) vielleicht nahelegt und andererseits vom Musikalischen her beeindruckend.
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06.10.2024 -Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
La Cetra Barockorchester
Andrea Marcon Leitung
Magdalena Kožená Mezzosopran
«Bewitched Love – Alcina»
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: Ouverture, Musette und Menuet aus «Alcina» HWV 34
Arien aus «Alcina»: «Dì cor mio, quanto t’amai», «Sì, son quella», «Ah, mio cor», «Ah! Ruggiero crudel», «Ombre pallide», «Ma quando tornerai», «Mi restano le lagrime»
ARCANGELO CORELLI / FRANCESCO GEMINIANI: Concerto Grosso d-Moll H 143 «La Follia»
ALESSANDRO MARCELLO: Introduzione b-Moll aus Concerto grosso «La Cetra»
FRANCESCO MARIA VERACINI: Ouvertüre Nr. 6 g-Moll
E: ANTONIO VIVALDI: «Solo quella guancia bella» aus La verità in cimento RV 739
Am Abend drauf gab es mit Magdalena Kožená gleich nochmal erstklassigen Händel. Sie sang alle Solo-Arien der tragischen Titelheldin aus „Alcina“, dazwischen erklang instrumentale Musik aus derselben Zeit – im Vergleich mit den Rezitalen jüngerer Sängerinnen (Lezhneva, Schultz) war das verhaltener, aber es berührte umso mehr –gerade in den leisen Tönen, die natürlich von meinem Abo-Platz in der ersten Reihe (vgl. das Foto oben vom Lezhneva-Konzert) auch wunderbar zu hören sind. (Ein nicht zu unterschätzender Vorteil auch, die ganzen Raschler und Husterinnen im Rücken zu haben, nicht zwischen sich und der Bühne … wobei mir in Basel regelmässig und in Paris sehr deutlich klar wurde, wie gesittet das Publikum in Zürich fast immer ist.)
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15.10.2024 – Paris, Philharmonie (grande salle Pierre Boulez) – Les murmures de la forêt
Orchestre national d’Île-de-France
Case Scaglione Leitung
Steven Isserlis Violoncello
Marie Perbost Soprano (Les Cygnes)
ANTONÍN DVOŘÁK: Concerto pour violoncelle
E: PAU CASALS: Song of the Birds (arr. Sally Beamish), SULKHAN TSINTSADZE: Chonguri
RITA STROHL: Les Cygnes
Symphonie de la forêt
Paris? Genau. Mitte Oktober ging es für knapp zwei Wochen in die Herbstferien. Der Zwischenstopp war eingeplant, weil ich dort das Arditti Quartet würde hören können, das im Rahmen seiner 50-Jahre-Jubiläums-Konzerttour im relativ kleinen Amphithéâtre der Cité de la Musique auch zwei neue Werke uraufführen sollte. Es ergab sich dann, dass ich am Abend drauf auch noch die seit über dreissig Jahren gespielte „Madama Butterfly“ von Robert Wilson sehen konnte, und spontan beschloss ich – da ich eine Wohnung gleich neben der Cité de la Musique und der Philharmonie gemietet hatte, auch am ersten Tag, den ich ganz in der Stadt verbrachte, ins Konzert zu gehen. Da führte in der zweiten Hälfte das Orchestre national d’Île-de-France unter seinem Chefdirigenten Case Scaglione zwei Stücke von Rita Strohl auf (gerade mit weiteren auch auf CD erschienen), von denen mich die lange „Symphonie de la fôret“ sehr beeinruckte: ein Werk, das mit der Wucht Wagners ebenso wie mit dem Farbenreichtum Debussys mithalten kann – eine echte Entdeckung auf jeden Fall. In der ersten Hälfte spielte Steven Isserlis eine wunderschöne Version des Cellokonzertes von Dvorák – das war intensiv, ohne laut zu werden, brannte quasi mit blauer Flamme, sehr kultiviert. Leider hustete das Publikum allerdings komplett durch, es gab kaum einen Moment im langsamen Satz, in dem Ruhe war. Der Applaus war dann allerdings gross und Isserlis spielte zwei Zugaben, die netterweise nachträglich per E-Mail mitgeteilt wurden (bei der Neuen Konzertreihe werden diese auf der Website im Archiv bekannt gegeben, auch das ein super Service).
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16.10.2024 – Paris, Opéra Bastille – Madame Butterfly
Madama Butterfly – opera in three acts by Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica & Giuseppe Giacosa.
Direction musicale Speranza Scappucci
Chef des Chœurs Alessandro Di Stefano
Mise en scène, décors et lumières Robert Wilson
Co-mise en scène Giuseppe Frigeni
Collaboration à la mise en scène Marina Frigeni
Costumes Frida Parmeggiani
Lumières en collaboration Heinrich Brunke
Reprise des lumières A.J. Weissbard
Chorégraphie Holm Keller
Cio-Cio-San (Madama Butterfly) Elena Stikhina
Suzuki Aude Extrémo
B.F. Pinkerton Stefan Pop
Sharpless Christopher Maltman
Goro Carlo Bosi
Il Principe Yamadori Andres Cascante
Lo Zio bonzo Vartan Gabrielian
Kate Pinkerton Sofia Anisimova
Yakuside Young-Woo Kim
Il Commissario Imperiale Bernard Arrieta
L’Ufficiale del registro Hyunsik Zee
La Madre di Cio-Cio-San Marianne Chandelier
La Zia Liliana Faraon
La Cugina Stéphanie Loris
Orchestre et Chœurs de l’Opéra national de Paris
Am Abend darauf dann die „Madama Butterfly“ – meine zweite Aufführung der Oper, und als ich die erste sah, hier in Zürich, gab es in einer Besprechung einen Verweis auf diese sehr, sehr schön gestaltete von Robert Wilson, die 1993 zum ersten Mal in der Opéra Bastille gezeigt wurde und das riesige Haus (über 2700 Plätze!) auch heute noch bis auf den letzten Sitz füllt. Die Grösse des Hauses führt dazu, dass die Musik relativ leise wirkt, ich brauchte ein paar Minuten, um rein zu finden. Das lag sicherlich nicht am unter Speranza Scarpucci bestens disponierten Orchester, und erst recht nicht an der Bühne, den Kostümen, der fast wie eine Choreographie wirkenden Figurenregie. Elena Stikhina sang die Titelrolle für die zweite Hälfte der Aufführungen, nachdem Eleonora Buratto die ersten paar Wochen zum Zug gekommen war. Ich fand sie hervorragend – und versuche vielleicht, sie im Februar hier in Zürich auch noch in Puccinis „Manon Lescaut“ zu sehen – und in der Wiederaufnahme der „Salomé“ von letztem Jahr. Die Poesie der Bühne schien sich jedenfalls über die ganze Aufführung zu legen, egal wie handgreiflich und zupackend da zwischendurch musiziert wurde. (Dass die ganze Arie „Un bel di, vedremo“, zugehustet wurde, überraschte mich dann nicht mehr so sehr … aber echt ey, Menschen!)
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17.10.2024 – Paris, Cité de la Musique (Amphithéâtre) – Arditti | 50
Quatuor Arditti
Irvine Arditti violon
Ashot Sarkissjan violon
Ralf Ehlers alto
Lucas Fels violoncelle
DIANA SOH: And those who were seen dancing (création mondiale)*
CATHY MILLIKEN: In Speak (création)
CHAYA CZERNOWIN: Ezov (moss) (création mondiale)*
HELMUT LACHENMANN: Quatuor à cordes n° 3 „Grido“
*) Commande du Quatuor Arditti, de Wien Modern et de la Philharmonie de Paris – Avec le soutien de la Ernst von Siemens Music Foundation
Der dritte Konzertabend in Folge gehörte dann dem Arditti Quartet – freie Platzwahl im steil absteigenden Saal mit 250 Plätzen, ein aufmerksames (nicht hustendes!) Publikum wie eigentlich immer, wenn es um Neue Musik geht – und ein sehr beeindruckendes Konzert, bei dem es im ersten Teil geballte Frauenpower gab: die Uraufführungen von Diana Soh und Chaya Czernowin umrahmten ein von Stück von Cathy Milliken, das Anfang März in Berlin uraufgeführt worden ist. Gab es bei Soh schon etwas Stimm-Einsatz und die eine oder andere unkonventionelle Spielweise, so verstärkte sich das bei Millikan fast bis ins Komödiantische (vereinzelte Lacher aus dem Saal). Zugleich trat darin die Materialität der Musik immer stärker in den Vordergrund: das Holz, die Bespannung der Bogen, die Luft, die mit den Bogen geschnitten wurde, die Kehlköpfe und Stimmbänder. Mit Czernowin schloss dann die erste Hälfe ernster – und ganz gemäss dem Titel, „Moos“, wieder mit weniger strukturiertem bzw. feinteilig gegliedertem Charakter – eine Hoffnungsgeste wolle ihr Werk sein, so schreibt Czernowin im Programmheft, sei greife Topoi auf, die in unterschiedlichen Kulturen mit Moos verbunden seien, dabei „Erneuerung, Resilienz, Hartnäckigkeit und Heilung verknüpfend“ (meine freie Übersetzung). Einmal mehr war besonders Chernowins Stück zu komplex, um es bei dieser ersten Begegnung wirklich zu erfassen … aber ein Erlebnis war das bis dahin auf jeden Fall schon. Nach der Pause dann ein „Klassiker“, Lachenmanns drittes Quartett mit dem Titel „Grido“ (Schrei), im November 2001 vom Arditti Quartet uraufgeführt (in Melbourne). Ich verwendete schon den Begriff der „Materialität“, der bei Lachenmann zentral ist – aber lustigerweise in diesem Stück viel weniger als üblich, denn, so Lachenmann im Programmheft: Irvine Arditti habe ihn gebeten „ein Stück mit mehr Klangvolumen als die zwei vorhergehenden Streichquartette zu schreiben“. Ein feiner Abschluss eines beeindruckenden Konzerts, nach dem es keine Zugaben geben konnte, wie Arditti dem Publikum mitteilte (in dem Soh und Czernowin sassen, das auf dem Foto ist wieder Czernowin, die ja schon aus Winterthur bekannt ist, siebe oben).
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26.10.2024 – Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
Kammerorchester Basel
Philippe Herreweghe Leitung
Bertrand Chamayou Klavier
FELIX MENDELSSOHN: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11
Klavierkonzert Nr. 2 d-Moll op. 40
E: JOSEPH HAYDN: Adagio aus der Klaviersonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50
EMILIE MAYER: Sinfonie Nr. 7 f-Moll
28.10.2024 – Basel, Stadtcasino – Next
Kammerorchester Basel
Aurel Dawidiuk Leitung (Brahms)
Philippe Herreweghe Leitung (Mendelssohn)
Dmitry Smirnov Violine
Samuel Niederhauser Violoncello
Bertrand Chamayou Klavier
JOHANNES BRAHMS: Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester in a-Moll
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in d-Moll
E: JOSEPH HAYDN: Adagio aus der Klaviersonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Sinfonie Nr. 1 in c-Moll
Ich fuhr dann (nach einer Woche in Brest mit ein paar Jazz-Konzerte mit brasilianischem Einschlag, dazu hier ein paar Zeilen) schon am Freitag heim, da ich Samstag schon wieder ein Konzert in Zürich im Kalender stehen hatte: Runde zwei der Neuen Konzertreihe, bei dem ein Hybrid aus zwei Konzerten in Basel geboten wurde: dem vom 30. August und dem von zwei Tage später. Und wie toll das werden sollte, hatte ich im Voraus überhaut nicht erwartet. Die Symphonie von Emilie Mayer wirkte im August etwas unausgegoren, es gab auch einzelne nicht so gut umgesetzte Stellen (Pizzicati der Streicher ohne Dirigent*in sind halt echt schwierig). Dieses Mal schein unter der Leitung von Philippe Herreweghe alles zu sitzen und die Aufführung der Symphonie beeindruckte mich sehr – sie wirkte gewichtiger, vielschichtiger als beim ersten Anlauf. Doch Mayer stand am Ende des Konzertes, und gerade so toll war die Fortsetzung des laufenden Mendelsson-Zyklus mit der ersten Symphonie vor der Pause. Mit welcher Beweglichkeit und welcher Direktheit es hier zur Sache ging, frisch und durchaus ruppig, nicht den ausgewogenen Klang suchend sondern das pochende Leben, die tanzenden, stolpernden und dann wieder fliessenden Rhythmen – das war phantastisch! Das stellenweise sehr virtuose zweite Klavierkonzert bleibt mit eher fremd – aber Bertrand Chamayou (den ich zum ersten Mal im Konzert erlebte) spielte es mit bescheidener Geste, schnörkellos und auf den Punkt. Ich musste auch wieder an das weniger überzeugende Beethoven-Konzert mit Piemontesi denken und ich glaube, der Unterschied war, dass Chamayou schlanker spielte, weniger dem romantischen Ton nachhörend oder diesen suchend. So genau kann ich es nicht sagen, aber für meine Ohren liegen Welten dazwischen und der Ansatz von Chamayou ist mir jedenfalls sehr viel näher.
Zwei Tage später, nach dem strengen ersten Arbeitstag müde in den Zug nach Basel, um fast das gleiche noch einmal zu hören? Nun ja, dann halt, ich hatte auch die Bahnkarte längst im Voraus gekauft und der Abo-Platz wäre sonst leer geblieben … das Doppelkonzert von Brahms hörte ich zum ersten Mal im Konzert, gespielt wurde es von zwei jungen Solisten. Die Eltern des Cellisten Samuel Niederhauser sind beide Mitglieder des Kammerorchester Basels, den Geiger Dmitry Smirnov hörte ich beim Kammerorchester schon mit einem beeindruckenden Lalo-Konzert unter Heinz Holliger (da gibt es auch eine starke CD) und später auch mal als Konzertmeister, er ist noch in der Probezeit als Orchestermitglied, aber ich hoffe, die halten ihn, sonst zieht der nämlich bestimmt rasch weiter, so gut er ist. Am Pult stand für diese erste Konzerthälfte Aurel Dawidiuk – auch er wie die anderen zwei Anfang/Mitte Zwanzig. Mir war die Aufführung dann etwas zu aufgeräumt, aber es war durchaus interessant, das seltsame Stück mal live zu hören. Dann die Frage, ob ich frühzeitig gehen sollte … aber das kam nicht in Frage, da Chamayou zuerst dran war und ich die Sinfonie auf jeden Fall noch einmal hören wollte. Sie war auch beim zweiten Anlauf grossartig – dieses Mal sass ich ganz hinten statt in der ersten Reihe, was vermutlich für den etwas besser ausgesteuerten Klang mit verantwortlich war (dass das KOB das Stadtcasino als Heimstätte viel besser kennt als die Tonhalle, und dass letztere ein ganze Stück grösser ist, mag ebenfalls mitspielen). Chamayou spielte beide Mal dasselbe „Adagio aus einer späten Haydn-Sonate“, wie er sagte – auf der Website der Neuen Konzertreihe Zürich steht inzwischen, welches es war … eine lange Zugabe, aber beide Male ein lyrischer Gegenpunkt zum virtuosen Konzert und sehr schön und nuanciert gespielt (aber für meinen Geschmack hier dann vielleicht doch eine Spur zu „romantisch“?).
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01.11.2024 – Zürich, Opernhaus – Clara
Clara: Ballett von Cathy Marston
Musik von Clara Schumann, Robert Schumann, Johannes Brahms und Philip Feeney
Choreografie und Inszenierung Cathy Marston
Musikalische Leitung Daniel Capps
Musikarrangements und Originalkomposition Philip Feeney
Szenarium Cathy Marston, Edward Kemp
Bühnenbild Hildegard Bechtler
Kostüme Bregje van Balen
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Dramaturgie Edward Kemp, Michael Küster
Clara: Das Wunderkind (Giorgia Giani), Die Künstlerin (Ruka Nakagawa), Die Ehefrau (Nancy Osbaldeston), Die Mutter (Sujung Lim), Die Pflegerin (Inna Bilash), Die Managerin (McKhayla Pettingill), Die Muse (Max Richter);
Robert Schumann (Karen Azatyan); Johannes Brahms (Chandler Dalton); Friedrich Wieck (Esteban Berlanga);
Joseph Joachim (Pablo Octávio); Mariane Wieck (Shelby Williams); Adolph Bargiel (Joel Woellner); Christel (Francesca Dell’Aria)
Philharmonia Zürich
Ballett Zürich
Junior Ballett
Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie Zürich
Klavier Ragna Schirmer
Gestern dann seit Jahren (acht, neun?) der erste Besuch einer Ballett-Aufführung in der Oper Zürich, „Clara“ von der neuen Ballett-Direktorin Cathy Marston, wie schon öfter mit dem Komponisten Philip Feeney gemeinsam konzipiert, der für sein Partitur unzählige Stücke von Clara Schumann (v.a. im ersten Teil), ihrem Ehemann Robert (v.a. im zweiten Teil) und dem gemeinsamen Freund Johannes Brahms (v.a. im dritten und letzten Teil) verwurstete und zu einer für meinen Geschmack etwas oberflächlichen, etwas zu dichten Partitur verwob. Immer wieder kam ein Marimba und eine Harfe dazu, der Einstieg war zuweilen fast etwas poppig – manchmal führte das zu einem gegenwärtigen, pochenden Sound, andere Male fand ich es etwas ermüdend, etwas gleichförmig, auch gab es recht wenig Dynamik, wenn das Orchester im Einsatz war. Aus dem Graben waren auch immer wieder solistische Einwürfe zu hören, nicht zuletzt von Robert Pickup an der Klarinette und Claudius Herrmann am Cello. Und im Graben sass auch die grossartige Ragna Schirmer, die manche Klavierstücke auch mal unbegleitet spielte – und auch Auszüge der Klavierkonzerte von Clara und Robert, sowie zum – musikalisch überaus versöhnlichen Abschluss – den langsamen Satz von Brahms‘ erstem spielte. Das Ballett erzählt in seinen drei recht kurzen Teilen (getrennt von zwei Überlangen Pausen; 2:40 bei fast einer Stunde Pause) die Geschichte Clara Schumanns bis zum Tod von Robert – der damit zum Angelpunkt des Stückes wird, zur eigentlichen Hauptfigur. Clara wird dabei auf sieben Tänzerinnen verteilt, die unterschiedliche Aspekte verkörpern, mal solo, aber oft quasi solo mit „Chor“ (Ensemble heisst das im Ballett, aber weil das alles so sprechend war …), mit den anderen sechs im Schlepptau, mal synchron dann als Schlange hinterher, aber auch immer wieder als sich ständig neu formierende Traube. Die männlichen Hauptrollen gehörten den Darstellern des Vaters (Wieck, v.a. im ersten Teil), Roberts und Brahms (erst ab dem zweiten Teil) – alle drei tänzerisch beeindruckend, wie mir das überhaupt enorm gut gefallen hat. Zu diesen Hauptfiguren kommen weitere kleinere Rollen: Mutter Wieck (die Clara im Alter von 5 dem Vater überlassen muss, so wollten es die Gesetze in Sachsen damals), die Magd der Wiecks, mit der Robert eine Affäre gehabt haben soll (als Clara noch ein Kind bzw. eine Jugendliche war) und ein paar weitere Figuren, die mir teils nicht klar wurden (wer von denen Joseph Joachim verkörperte, verstand ich z.B. nicht, wer die zwei Ärzte, die Schumann in der Psychiatrie behandeln (im dritten Teil) hingegen schon. Die Geschichte erschloss sich sogar einigermassen Leuten im Publikum, die unvorbereitet kamen: der Streit um das Kind, die Zerrissenheit der Clara zwischen Kunst und Familie, die Liebe des Paars, Roberts Schwierigkeit, ob der Kinderschar zu komponieren, die gemeinsame Begeisterung über den neuen jungen Freund Brahms, der Selbstmordversuch im Rhein, die letzte Zeit in der Anstalt, die erzwungene Trennung, das letzte Wiedersehen nur Tage vor dem Tod Roberts … all das und noch viel mehr wurde auf einfach aber sehr effektiven Bühne vertanzt, in schönen Kostümen mit schön anzuschauenden Bewegungen, ob Solo, in kleinen Gruppen oder mit dem ganzen Ensemble (zu dem auch – die erwähnte Kinderschar – das Junior Ballett und Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie Zürich gehörten). Volles Haus, riesiger Applaus, aufgekratzte Stimmung wie gerne am Samstagabend in der Oper. Ich bin jedenfalls sehr froh, hab ich die Aufführung nicht verpasst, auch wenn sie musikalisch nicht ganz zu überzeugen vermochte.
Foto oben und ganz oben: Carlos Quezada, opernhaus.ch
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