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Grosse Lücke hier zwischen April und dem Lucerne Festival im August – da gab es nebst dem, dass ich im Juli fast gestorben wäre, noch einiges an Konzerten, zu denen zeitnah zu schreiben ich versäumt habe.
Nicht zuletzt die Aufführung des „Ring des Nibelungen“ als Zyklus im Mai – ein irres, in vielerlei Hinsicht auch überwältigendes Erlebnis. Ich hatte über die vier Teile einzeln geschrieben – v.a. „Die Walküre“ war dieses Mal echt umwerfend … da war ich beim ersten Anlauf zunächst wegen Corona-Erkrankung verhindert und wich – mit noch nicht wirklich wachem Kopf – auf eine spätere Aufführung aus: Rheingold | Die Walküre | Siegfried | Götterdämmerung.
In Sachen Fortsetzung hoffe ich, dass der gerade an der Scala gestartete Zyklus zu Ende kommt (nicht selbstverständlich an dem Haus) und die geplanten Aufführungen als Zyklus im März 2026 zustande kommen – dann möchte ich das wiederholen.
Doch es gab auch zweimal Monteverdi: zuerst in Basel die „Poppea“ in einer neuen Inszenierung von Christoph Marthaler, der das Geschehen in den italienischen Faschismus verlegte. Funktionierte für mich sehr gut, war recht schnörkellos, stark gespielt (im Graben war eigentlich eine grosse Continuo-Gruppe, dazu ganz wenige weitere Streicher und Bläser – kein Streichersatz jedenfalls) und natürlich war Anne Sofie von Otter super. Aber auch Jake Arditti (der Vater kommt dann im nächsten Post vor) war stark. Und dass Cummings eine kleine Rolle (singend) übernahm und dazu den sowieso meistens weit hoch gefahrenen Graben verliess, war auch eine witzige Idee (das Foto unten zeigt den hochgefahrenen Graben mit den Treppen, die direkt auf die Bühne führen).
Der „Orfeo“ von Titov in Zürich hatte gemischte Kritiken, aber ich fand ihn fabelhaft – nicht zuletzt dank Krystian Adam in der Titelrolle, die in diesem Fall ja besonders zentral ist. Das Orchester war erwartungsgemäss klasse und die insgesamt sehr dunkle, ja düstere Produktion passte nicht nur in unsere Zeit sondern war insgesamt sehr schlüssig, fand ich.
In Basel gab es noch zwei Abo-Konzerte vom Kammerorchester. Da war das Konzert mit Heinz Holliger und Sol Gabetta, mit der Hebriden-Ouvertüre, dem Cellokonzert von Britten und Schumanns „Rheinischer“. Das Cellokonzert fand ich anspruchsvoll aber grossartig … und Schumann mit KOB unter Holliger umwerfend – und wie er selbst anmerkte (bei der Konzerteinführung wohl), eine völlig andere Erfahrung als seine Arbeit mit dem WDR Sinfonieorchester Köln, mit dem er die konzertante Musik Schumanns für audite in grosser Besetzung eingespielt hat.
Den Abschluss der Saison im Stadtcasino machte dann Giovanni Antonini, der durch das „Haydn 2032“-Mammutprojekt in Basel längst regelmässiger Gast ist. „Tolomeo“ von Händel gab es, mit minimaler Inszenierung (Gruppierung und Bewegung der Sänger*innen rund um das Orchester, in dem Kolleg*innen von Il Giardino Armonico viele Schlüsselrollen inne hatten) und einem wahnsinnig starken Ensemble: Fagioli und Dumaux, Semenzato und Bridelli – da blieben echt keine Wünsche unerfüllt.
In der Tonhalle gab es auch noch ein phänomenales Konzert mit Sängerin: Julia Lehzneva mit Concerto Köln (ohne Dirigent*in) und einem Arienprogramm mit Musik von Händel, Vivaldi, Porpora und den beiden Grauns. Die Leichtigkeit, mit der Lezhneva singt, ist nach wie vor beeindruckend – und dabei hat sie seit dem letzten (oder vorletzten?) Konzert noch in der Tonhalle-Maag (ca. 2018, 2019?) enorm an Textverständlichkeit gewonnen. Sie selbst schien den Abend ebenfalls zu geniessen und wollte fast nicht aufhören – ganze sechs Zugaben bot sie. (Auf dem Foto oben, das ich von der Website des Veranstalters borge, ist mein Hinterkopf in der ersten Reihe links zu sehen – keiner der zwei mit vollendeter sondern der mit entstehenden Glatze )
Dreimal hörte ich auch noch das Tonhalle-Orchester Zürich, direkt vor meinen Ferien unter Järvi. Es gab eine Ouvertüre von Rimsky-Korsakov und nach der Pause dessen “ Scheherazade“ – und letztere war in ihrer Farbenpracht ein echter Ohröffner für mich. Das grosse Highlight fiel aber zwischen die zwei russischen Werke: Janine Jansen bot eine perfekte Interpretation des Violinkonzertes von Jean Sibelius – atemberaubend. Jansen ist die Tage wirklich eine meiner allerliebsten Interpretinnen, und mit Järvi zusammen sowieso toll, weil da alle ständig auf der Stuhlkante musizieren, in Erwartung des Unerwarteten.
Eine knappe Woche später folgte noch ein Konzert mit Herbert Blomstedt, leider schlecht ausgelastet, was ein Vorrücken auf einen potentiellen (aber finanziell keinesfalls stemmbaren) Lieblingsplatz ganz hinten auf der Galerie ermöglichte (an der Ecke, wo sie zum Balkon übergeht, das ist sie nur noch ein- bzw. zweireihig, Blick und Akustik super) – das wiederholte sich nach meinen Ferien, daher ausnahmsweise unten auch mal zwei Fotos von Tonhalle-Konzerten, wo ich sonst immer eher „Hörplätze“ kaufe … bin ja gross und mag es nicht ungern, bei Konzerten zu stehen, und auf dem Weg sehe ich zwischen Köpfen hindurch Dirigent*in, Hände am Klavier oder andere Solist*innen einigermassen und das reicht mir bei guter Akustik durchaus). Mit Blomstedt gab es warmen, kompakten und ziemlich schnörkellosen Mozart – aber ich muss gestehen, dass das kein Lieblingskonzert mit diesem verehrten Dirigenten war.
Auch das letzte, direkt nach meiner Rückkehr und am letzten Tag, bevor der Spass los ging, der mich fast aus dem Spiel geworfen hätte, war etwas zwiespältig. Joana Mallwitz dirigierte Mahlers erste Symphonie straff und kontrolliert, durchaus nicht kalt allerdings. Das war schon ziemlich gut, fand ich. Davor gab es das Violinkonzert vom Bryce Dessner, dem „creative chair“ der letzten Saison, gespielt von Pekka Kuusisto, der es auch uraufgeführt hatte. Das gefiel mir zumindest sehr viel besser als das Klavierkonzert, mit dem ich weniger anfangen konnte. Die Begegnungen mit Dessner (seinen eigenen Auftritt an der elektrischen Gitarre habe ich leider verpasst) hinterlassen einen eher gemischten Eindruck – aber das Violinkonzert vielleicht noch den besten.
Dazwischen ging es eher kurzentschlossen noch zu einem Konzert in Winterthur, das sich im Nachhinein als besser denn erhofft entpuppte. Ilya Gringolts spielte beim Musikkollegium das neue Violinkonzert von Chaya Czernowin – ein schwieriges, ziemlich düsteres und oft geräuschhaftes Konzert, das wenig Eingängiges bietet … eine Tour-de-Force von Gringolts (ohne Noten) und den Streichern des Musikkollegiums, das an diesem Abend unter der Leitung von Matthias Pintscher stand. Ich fand das super, der Applaus blieb aber eher höflich – Czernowin war da und wurde auf die Bühne gebeten, da können Schweizer*innen doch nicht unhöflich werden. Davor gab’s eine wie ich finde etwas doofe Wagnerei (ein Jahr davor in Lugano mit dem Orchestra Mozart unter Daniele Gatti schon gehört), danach für mich überraschend recht verblüffende Mozarterei: die Bläserserenade KV 361 „Gran Partita“ – auch mit Pintscher, obwohl ich da den Eindruck hatte, dass das ohne ihn gerade so gut hätte gehen können (vielleicht ein Trugschluss, siehe Emilie Mayer im folgenden Post).
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28.04.2024 – Basel, Theater – L’incoronazione di Poppea
L’incoronazione di Poppea: Opera musicale in drei Akten von Claudio Monteverdi
Libretto: Francesco Busenello
Musikalische Leitung Laurence Cummings
Inszenierung Christoph Marthaler
Bühne und Kostüme Anna Viebrock
Kostümmitarbeit Lasha Iashvili
Lichtdesign Cornelius Hunziker
Regiemitarbeit Joachim Rathke
Dramaturgie Malte Ubenauf, Roman Reeger
Poppea Kerstin Avemo
Nerone Jake Arditti
Ottavia Anne Sofie von Otter
Ottone Owen Willetts
Drusilla Álfheiður Erla Guðmundsdóttir
Arnalta Stuart Jackson
Seneca Andrew Murphy
Valetto Rosemary Hardy
Nutrice Graham F. Valentine
Edda Liliana Benini
Liberto Karl-Heinz Brandt
Littore Jasin Rammal-Rykała
Lucano Lulama Taifasi
La Cetra Barockorchester Basel
Statisterie Theater Basel
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02.05.2024 – Basel, Stadtcasino – Gipfeltreffen
Kammerorchester Basel
Heinz Holliger Leitung
Sol Gabetta Violoncello
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: «Die Hebriden» Ouvertüre
BENJAMIN BRITTEN: Sinfonie für Cello und Orchester
ROBERT SCHUMANN: Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur «Rheinische»
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03./05./07./09.05.2024 – Zürich, Opernhaus – Der Ring des Nibelungen
RICHARD WAGNER: Der Ring des Nibelungen
Nach der „Götterdämmerung“ durfte auch das Orchester mit auf die Bühne – wohlverdient!
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25.05.2024 – Zürich, Opernhaus – L’Orfeo
L’Orfeo: Favola in Musica in einem Prolog und fünf Akten von Claudio Monteverdi (1567–1643)
Libretto von Alessandro Striggio
Musikalische Leitung Ottavio Dantone
Inszenierung Evgeny Titov
Bühnenbild Chloe Lamford, Noemi Daboczi
Kostüme Annemarie Woods
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Choreinstudierung Marco Amherd
Video Tieni Burkhalter
Dramaturgie Claus Spahn
Orfeo Krystian Adam
Caronte/Plutone Mirco Palazzi
Apollon Mark Milhofer
1. Pastore Massimo Altieri
2. Pastore Luca Cervoni
3. Pastore Tobias Knaus
4. Pastore Yves Brühwiler
La Musica/Messagera/Eco Josè Maria Lo Monaco
Euridice Miriam Kutrowatz
La Speranza/Proserpina Simone McIntosh
Ninfa Isabel Pfefferkorn
Orchestra La Scintilla
Zürcher Sing-Akademie
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27.05.2024 – Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
Concerto Köln
Julia Lezhneva Sopran
JOHANN GOTTLIEB GRAUN: Sinfonie B-Dur für Streicher und B.c.
NICOLA ANTONIO PORPORA: «In caelo stelle clare fulgescant» Motette für Sopran, Streicher und B.c.
ANTONIO VIVALDI: Concerto c-Moll für Streicher und B.c. RV 120
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: «Parto, si, ma non so poi» Arie aus «Flavio, Re de‘ Longobardi»
«Brilla nell’alma». Arie aus «Alessandro»
ANTONIO VIVALDI: Ouvertüre aus der Oper «L’Olimpiade»
«Zeffiretti, che sussurrate». Arie aus «Ercole su’l Termodonte»
HÄNDEL: «Un pensiero nemico di pace». Arie aus «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno»
VIVALDI: Concerto F-Dur «La tempesta di mare» für Flöte, Streicher und B.c.
CARL HEINRICH GRAUN: «Senza di te, mio bene». Arie aus «Coriolano»
VIVALDI: «Agitata da due venti» aus «La Griselda»
E:
C.H. GRAUN: «Mi paventi il figlio indegno», Arie der Agrippina aus Britannico
HÄNDEL: «Lascia la spina, cogli la rosa», Arie der Piacere
«Tu del Ciel ministro eletto», Arie der Bellezza aus Il Trionfo del Tempo e del Disinganno, HWV 46a
VIVALDI: «Sposa son disprezzata», Arie aus der Oper Bajazet, RV 703
HÄNDEL: «Rejoice greatly, o daughter of Zion», Arie für Sopran aus dem Messiah, HWV 56 (Nr. 16)
PORPORA: «Alleluia!» aus der Motette In caelo stelle clare fulgescant
Foto ganz oben: Quim Vilar (https://hochuli-konzert.ch/), Foto oben: meins (wie alle, wo nichts weiter steht).
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30.05.2024 – Winterthur, Stadthaus – Matthias Pintscher dirigiert Wagner, Czernowin & Mozart
Musikkollegium Winterthur
Matthias Pintscher Leitung
Ilya Gringolts Violine
RICHARD WAGNER: «Siegfried-Idyll» E-Dur, WWV 103 (1870) 18′
CHAYA CZERNOWIN:«Moths of Hunger and Awe» für Violine und Streichorchester
(2023)*
WOLFGANG AMADEUS MOZART: Serenade Nr. 10 B-Dur, KV 361 «Gran Partita» (1781)
*) Auftragskomposition des Münchener Kammerorchesters, des Musikkollegium Winterthur und der Hong Kong Sinfonietta, Schweizer Erstaufführung
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04.06.2024 – Basel, Stadtcasino – Pharaonischer Grössenwahn
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: «Tolomeo, Re di Egitto»
Oper in drei Akten. Konzertante Aufführung
Kammerorchester Basel
Il Giardino Armonico
Giovanni Antonini Leitung
Tolomeo Franco Fagioli
Seleuce Giulia Semenzato
Elisa Giuseppina Bridelli
Alessandro Christophe Dumaux
Araspe Riccardo Novaro
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13.06.2024 – Zürich, Tonhalle – Janine Jansen spielt Sibelius
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Janine Jansen Violine
NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW «Capriccio espagnol» op. 34
JEAN SIBELIUS Violinkonzert d-Moll op. 47
NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW «Scheherazade» op. 35
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19.06.2024 – Zürich, Tonhalle – Herbert Blomstedt mit Mozart
Tonhalle-Orchester Zürich
Herbert Blomstedt Leitung
WOLFGANG AMADEUS MOZART Sinfonie C-Dur KV 425 «Linzer»
Sinfonie C-Dur KV 551 «Jupiter»
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05.07.2024 – Zürich, Tonhalle – Joana Mallwitz mit Mahler
Tonhalle-Orchester Zürich
Joana Mallwitz Leitung
Pekka Kuusisto Violine
BRYCE DESSNER: Violinkonzert – Schweizer Erstaufführung
GUSTAV MAHLER: Sinfonie Nr. 1 D-Dur
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Verpasst:
10.7.: Zürich, Opernhaus; Verdi: I vespri siciliani (Repusic; Bieito)
11.7.: Zürich, Opernhaus; Giordano: Andrea Chénier (konzertant) (Armiliato)
12.7.: Zürich, Opernhaus; Puccini: Turandot (Trevino; Baumgarten)
Da lag ich dann stattdessen eine Woche im Krankenhaus (und danach nochmal ein paar Wochen zuhause) … ging ja zum guten Glück alles gut aus … aber ein wenig Leid tat es mir schon, die drei Abende zu verpassen, die als Ausklang vor der Sommerpause gedacht waren, die sich dadurch allerdings nur um eine Woche verlängerte, denn zu den Konzerten beim Lucerne Festival (siehe oben) war ich ja zum Glück wieder fit genug, um sie alle zu hören (und sogar noch eins kurzfristig zu ergänzen, „Die vier Jahreszeiten“).
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