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zojifriedrich
Rumgooglen ist schon mehr als ich mache, ich memoriere ja praktisch nur jahrzehntealte subjektive Eindrücke. Weiter geht’s.
Für die Gegenwart kann ich das gar nicht beantworten, weil ich das nicht mehr so verfolge, und ich benutze die Vokabel eher zurückhaltend, aber ich denke schon, dass es jedenfalls in der Vergangenheit auch immer eine Art Blues-Mainstream gab, Trends auf jeden Fall, und gerade die Zeit der Spät-80er bis weit in die 90er schien mir da recht ergiebig für Alben und Künstler die auch einen gewissen Crossover-Erfolg bei einem nicht unbedingt bluesaffinen Publikum feiern konnten. Folgende Phänomene fand ich ziemlich auffällig:
- Comeback-Alben fast vergessener Bluesgrößen im Gaststargewand (die den Gehuldigtem z.T. an Prominenz übertrafen), beginnend mit „The Healer“ von John Lee Hooker
- Muskulöser Hochglanz-Heavy-Bluesrock, von Gary Moore auf die Landkarte gesetzt
- Ein gefälliger, recht softer Akustik-Blues unter Beimischung dezenter Folk- und Popelemente mit den Galionsfiguren Keb‘ Mo und Eric Bibb
und vielleicht auch noch 4., viele sehr geleckte Soul-Blues-Alben, mit Streichern, E-Pianos, synthlastig, mit vielen Balladen und Tränenziehern. Allerdings fällt mir da kein Urknallmoment ein, auch keine Referenz-Alben und -Künstler mit Charterfolg. Vielleicht war das auch mehr eine natürliche Entwicklung seit den 60ern.
Interessant fand ich auch, dass Tina Turner noch einmal zwei Semi-Hits mit ziemlich bluesigen Kompositionen von Tony Joe White hatte, Steamy Windos und Undercover Agent For The Blues.
Durchaus denkbar, dass sich die Fat-Possum-Macher auf eine oder mehrere dieser Entwicklungen bezogen, aber das weiß ich nicht genau, vielleicht ging es ihnen auch um lokale Live-Erlebnisse? Das tourist-trap-side-of-the-Blues-Zitat müsste im Begleittext zu diesem ja auch schon programmatisch betitelten Sampler auftauchen:
oder vielleicht im Nachfolger:
Wenn Du das genau wissen willst würde ich in den nächsten Tagen noch einmal nachschauen, heute gebricht es mir dazu an Lust. Jedenfalls unterschied sich deren Programm schon deutlich von den oben skizzierten Stilen, sehr lowdown and dirty, rumpelig und räudig, teils dilettantisch und fern von Schönklang. Gleichzeitig aber auch nicht um Erneuerung verlegen, in dem sie z.B. einem eigentlich traditionellem Schlachtross wie R.L. Burnside und anderen allerlei Soundspielereien verpasst haben, die bei mir als Blues-Reaktionär natürlich unter „überflüssiger Schnickschnack“ laufen, (…)
(…)
Und dann gab es eben auch noch diesen Garage-Bluesrock wie etwa der Black Keys. Die mag ich eigentlich, habe sie aber nie kontinuierlich verfolgt, weshalb ich auch nur drei Alben von ihnen besitze, eines davon Thickfreakness, und etwa die gleiche Menge noch einmal irgendwann gehört habe. Eines meiner Lieblingsalben der letzten Jahre ist gleichwohl Delta Kream, was sie wiederum mit ehemaligen Label-Kollegen von Fat Possum eingespielt haben, da ging es also gewissermaßen noch einmal back to the roots.Das die Macher mit ihrem Programm keine Reichtümer erwarben kann ich mir gut vorstellen. Frischen Wind haben sie schon gebracht und eine gewisse Wirkung entfaltet. R.L. Burnside ist der einzige Bluesmusiker den ich erstmals in einem Videoclip auf mtv registrierte. Und dann gibt es eine schöne Volte zum Ausgangspunkt unseres Austauschs. Eines meiner Lieblingsalben von Buddy Guy, Sweet Tea, hat er ebenfalls mit Musikern die vor allem für ihre Arbeit bei Fat Possum bekannt wurden aufgenommen, und zwar genau in deren derben, repetitiven North Mississippi Hill Country-Stil. (…) Und ich habe wirklich keine Ahnung, wie sich da die künstlerische Entdeckerlust zu finanziellem Kalkül verhielt. Aber das Ergebnis zählt, und das halte ich für außerordentlich gelungen.
(…)
Danke für Deine ausführliche Antwort. Habe ich gar nicht erwartet.
Kleine Anekdote am Rande: Ich hatte mal einen Kollegen, bisschen älteres Semester (also etwa so alt wie ich ), der wurde auf einem Büro-Sommerfest von einer jüngeren Kollegin gefragt, was er für Musik höre. „Blues!“, antwortete er mit stolzer Kennermiene. Sie fragte (mit charmant tschechischem Akzent) nach: „Was ist Blues?“ Darauf ein zweiter, jüngerer Kollege: „Tonika, Dominante, Subdominante …“ Erster, älterer Kollege: „Also eher so Blues-Rock, Eric Clapton und so…“ Ich habe das nicht kommentiert. Bin ich denn ein Blues-Kenner?
Ich glaube, ich kann Deine Beschreibung des Blues-Mainstream oder besser des Blues-Crossover ganz gut nachvollziehen, wobei mich die ersten beiden Fälle eigentlich nicht interessieren. Berührungspunkte hätte ich noch am ehesten beim dritten Fall. Aber „ungeschliffener (und garstiger) Blues“ (Johnny Winter) ist das auch nicht. In diese Lücke scheint Fat Possum wohl stoßen zu wollen: „lowdown and dirty, rumpelig und räudig, teils dilettantisch und fern von Schönklang“ wie Du schreibst.
Mir war damals gar nicht aufgefallen, dass The Black Keys auch auf Fat Possum veröffentlicht haben. Passt aber offenbar. Ich habe diesen polternden und groovenden Klang damals geliebt! Sie haben übrigens auch eine EP mit ausschließlich Coverversionen von Junior Kimbrough gemacht – auch auf Fat Possum. Ich kenne aber weder EP noch Junior Kimbrough.
Aber auch dies ist ein Junior Kimbrough-Cover:
zoji
(…)
Eine 52 CD-Box? Grundgütiger! Da ich – rein statistisch gesehen – die Hälfte meiner Lebenszeit bereits hinter mir habe, wäre das für mich gar nicht mehr zu schaffen.
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)