Antwort auf: Umfrage: Die 20 besten Tracks der Bee Gees

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herr-rossi
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stormy-mondayLieber Rossi, wenn man mal Wiki zu den Gibbs liest wie ich gerade, findet man unvoreingenommen doch dieses hier, interpretationsfrei ;)
Von den Kritikern wurden die Bee Gees 1967 hochgelobt. Parallel zu ihrem zunehmenden kommerziellen Erfolg fielen sie vor allem bei den britischen Musikfachzeitschriften zunehmend in Ungnade. Ihre Texte wurden als surreal bis unsinnig bezeichnet (zum Beispiel „Now, I found, that the world is round and of course it rains everyday.“ World); die oft mit großem Orchester und Chor arrangierten Songs wurden als kitschig kritisiert.

Das wird wohl so gewesen sein, aber muss man das kritiklos übernehmen? Allein der Kritikpunkt „surreal“ ist im Kontext des Jahres 1967 seltsam – im Jahr von „I Am The Walrus“, „All Along The Watchtower“ usw., Surrealismus war all the rage in 1967. Nun ist der Text von „Words“ weder „surreal“ noch „unsinnig“.Dazu muss man sich mal von dem freimachen, was man seit Jahrzehnten zu wissen meint (Stichwort „unvoreingenommen“), dann ist es nicht wirklich schwierig zu verstehen, es steht ja da, literally. Gleichwohl: interpretationsfreies Textverständnis gibt es nicht.

[Hook]
Now, I found that the world is round
And of course it rains everyday

Gemeint ist doch: „Jetzt, da ich verstanden habe, wie die Welt faktisch ist, und sie mich deprimiert [1], stelle ich mir Fragen [2] …“

[1] Die Feststellung, dass es „of course“ jeden Tag regnet, ist ja im Gegensatz zu der ersten rein sachlich falsch (zumindest bezogen auf die Erlebniswelt des „Ich“), sie beschreibt meiner Ansicht nach eine emotionale Wahrnehmung im Gegensatz zur rationalen des ersten Satzes. PS: Ich mag jedenfalls nicht annehmen, dass diese Aussage eines jungen Mannes, der in Australien aufgewachsen ist und den es nunmehr ins UK verschlagen hatte, nur eine abgeklärte Feststellung von Fakten ist.;)

[2] Das ergibt sich aus den folgenden Strophen.

Und hier kommen die Fragen:

[Verse 1]
Living tomorrow, where in the world will I be tomorrow?
How far am I able to see?
Or am I needed here?

Das ist ein Text „von jungen Menschen für junge Menschen“. Was wird mal aus mir werden? Werde ich hier überhaupt gebraucht?

[Verse 2]
If I remember all of the things I have done
I’d remember all of the times I’ve gone wrong
Why do they keep me here?

Es geht um das Gefühl, nicht zu genügen, alles falsch zu machen. Und das wurde und wird jungen Menschen, die sich nicht klag- und mühelos ins System einfügen, nun damals wie heute gerne nahegelegt. „Ich habe verstanden wie die Welt funktioniert, ich finde sie deprimierend, ich weiß nicht, ob ich hier gebraucht werde und was mit mir wird, und fühle mich als Versager.“ Sinnlose Aussagen? Surreal?

Nun bin ich – falls das wichtig ist – auch nicht der erste, der „World“ so versteht:

https://www.allmusic.com/song/world-mt0001554249#review

„One of their most impressive efforts in this vein was „World,“ a thoroughly psychedelic ballad worthy of the Moody Blues‘ finest similar efforts. Lyrically, it seems minimalist to the point of being simplistic: it consists of a few hazy first-person ruminations about the narrator’s purpose in life, punctuated by the oft-repeated chorus „Now, I’ve found/That the world is round/And, of course/It rains everyday.“ However, these lyrics come to life when paired up with the song’s haunting minor-key melody, which is built on ever-descending note patterns that aid the mesmerizing quality of the oft-repeated chorus.“

Guarisco macht dabei einen wichtigen Punkt – Texte stehen in der Musik nie für sich, sondern sie „werden lebendig“ durch die Interpretation, das Arrangement, die Produktion. Und ein Teen Pop-Song des Jahres 1967 erfordert nun mal einen anderen Text als das Storytelling eines Johnny Cash oder das literarisch hochambitionierte Referenzenfeuerwerk eines Dylan wie beispielsweise in „All Along The Watchtower“, das ja nun weit interpretationsoffen ist und sich einer eindeutigen Aussage entzieht. Dass ein „All Along The Watchtower“, das inhaltlich über alle Köpfe hinweggeht, überhaupt von Jugendlichen „gefühlt“ werden konnte, lag ja nun auch an der musikalischen Umsetzung (insbesondere durch Hendrix). Klar, „businessmen drank my wine“ ist ein cooleres Zitat als „Now I found …“, aber das ist halt eine der wenigen Zeilen, die in dem Text unmittelbaren Sinn ergeben (PS: oder zumindest so wirken, es klingt so eingängig nach Kapitalismuskritik). Es zitiert ja niemand „Plowmen dig my earth“.

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