Antwort auf: Ich höre gerade … Blues!

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friedrich

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Flohmarktfund, LP zum Schnäppchenpreis. Cover etwas abgeschabt, der Klebstoff des Preisschilds von 1977 klebt noch oben rechts, oben links hat einer der Vorbesitzer mit Filzer eine rätselhafte „5“ geschrieben, bedruckte original Innenhülle fehlt und die Platte knistert ein kleines bisschen. Aber eine mehr als 40 Jahre alte Bluesplatte kann etwas Patina vertragen. Sehr schön, dieses alte Album mit dem tollen Cover in den Händen zu halten und irgendwie bilde ich mir ein, dass die Platte auf meinem über 20 Jahre alten Plattenspieler noch viel besser klingt als auf CD oder gar im Stream. Wie herrlich das poltert, scheppert und heult! Ja, eigentlich muss das sogar eine alte Schallplatte sein und nichts anderes!

Muddy Waters – Hard Again (1977)

Ich habe dazu mal von ganz oben aus dem Bücherregal die Muddy Waters-Biografie von Robert Gordon geholt:

„Auf diesen Aufnahmen (…) singt Muddy wie ein Mann, der endlich die Freiheit besitzt, für sich selbst zu singen, In seiner Stimme schwingen Stolz, Unabhängigkeit, Lebenslust und eine Erklärung mit: Everthing’s gonna be alright this morning, yes I know! (…)

Und das sind erst die ersten vier Takte. Die Telecaster (…) schlägt einige hohe Töne an, die wie eine Frage im Raum stehen bleiben: „Band, bist du fertig?“ Und wie von einem befreiten Sklaven, der die Mason-Dixie-Linie überquert, kommt ihre widerhallende Antwort zurück: „Nichts kann uns stoppen.“ Muddy kichert – nicht vor Lachen, sondern vor Kraft -, und die Geschichte beginnt, eine alte Geschichte, neu erzählt:

Now when I was a young boy (die Band stimmt ein)
At the age of five (die Band antwortet erneut)
My mother said I was gonna be (Musik wie ein Boxkampf)
The greatest thing alive

(…) Am Ende des Stücks ist der Jubel im Studio hörbar, der folgte, die Leichtigkeit, als sie erkannten, dass die Trübsal der vergangenen Jahre (…) auf einmal wie weggeblasen war. Muddy schrie und klatschte im Studio, grinste breit, ging mit federnden Schritt auf und ab. Er sagte: „Dieses Zeug ist so gut, dass mein Ding davon wieder hart wird.“ Und der Titel des Albums war geboren.

Ich als Produzent wollte, dass sich Muddy wirklich wohl fühlte“, sagte Johnny Winter, „Nur so würde er es schaffen, dass seine Musik so gut klang wie früher. Ich spürte, dass der echte, ungeschliffene (und garstige) Blues nicht ganz richtig aufgenommen worden war, dass die Aufnahmetechnik damals noch nicht weit genug entwickelt war (…). Wir befanden uns alle in einem großen Raum, es wurden so gut wie keine nachträglichen Spuren aufgenommen, alles wurde praktisch zur selben Zeit gemacht. Dadurch gab es eine Unmenge an Raumklang und Überlagerungen – Instrumente, die über die Mikrofone anderer Instrumente mitklangen. Ich achtete darauf, dass alles, was der normale Studiotechniker von vornherein ausschließen will, ganz bestimmt passiert.“

Das tolle Coverfoto stammt übrigens von Richard Avedon.

Sowas gelingt selten: Geplante Spontanität.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)