Antwort auf: Enja Records

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Ron Miles – I Am a  Man | Das dritte Album von Ron Miles, das – erst nach der Produktion (Ron Miles zusammen mit dem Toningenieur Colin Bricker) – bei Enja/yellowbird gelandet ist. Das Trio mit Bill Frisell (g) und Brian Blade (d) wird um Jason Moran und Thomas Morgan (b) erweitert. Ich hab das Album neulich mal etwas angespielt, gestern spät und jetzt wieder gehört, dazu die sehr ausführlichen Liner Notes von Michelle Mercer gelesen, die weit ausholen, aber auch auf die sieben Stücke eingehen, die Miles für die Gruppe komponiert hat, die im Dezember 2016 zu ihm nach Denver reiste (Mighty Fine Productions, scheint sein Heimstudio zu sein, ein Anbau an seinem Haus, gemischt wurde dann von Ron Saint Germain und Bricker at Saint’s Place in Kinnelon, NJ im Frühling 2017; Hans Wendl wir hier unter „project management“ geführt – das Projekt war wohl, die Platte bei Aldinger unterzubringen).

Mercer leitet aus der Biographie von Miles – der offen darüber sprach, von Robin Gibb von den Bee Gees ebenso beeinflusst worden zu sein wie von Miles Davis‘ Trompetensound – den „Non-Hierarchical Aesthetic Gospel of Ron Miles“ ab: „This loving embrace of all things great and small, beautiful and ugly“. Hank Williams, Burt Bacharach oder Prince zählten da ebenso dazu wie der Jazz. In seiner kurzen Zeit in New York – die Zeit der Marsalis’schen Glaubenskriege – schloss er sich der Avantgarde an. Als er nach Denver zurückkehrte, um einen Posten als Lehrer anzunehmen, wozu auch Jazzgeschichte gehörte, musste er sich diese erst mal erarbeiten, tauchte tief in die Musik von Jelly Roll Morton oder Duke Ellington ein, nur zum zu begreifen, „that early jazz styles were themselves avant-garde for their time radically challenged then-prevailing categorizations in jazz“ (Mercer).

Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen baut Miles in seine Musik keine oft als etwas künstlich empfundene Schwierigkeiten ein: „I just write songs, not meters. I write notes and chords, and then figure out, ’shoot, that is bar 7 and then bar 4.‘ Things can be tricky to play, and that’s fine, but you always want musicians to feel like your song is worthy of the effort.“ (Miles in Mercers Liner Notes). Dass sich „spirituality an politics, art and politics“ nicht trennen lassen, ist klar. „We’re in some trying times right now, that’s for sure […] But we’ve seen this before. Culturally, black folks have had to do this over and over again, fighting injustice and finding a positive solution.“ (Miles in Mercers Liner Notes).

Der Albumtitel den ist Tafeln entliehen, die protestierende Arbeiter mit sich trugen, als 1968 bei einem Unfall der Müllabfuhr in Memphis zwei Kollegen zu Tode kamen. Die Müllmänner gingen danach auf die Strasse und trugen Schilder mit der Aufschrift „I AM A MAN“ mit sich. Eine Nachricht aus der Bürgerrechtsbewegung also. Die Musik ist hier, im Opener/Titelstück und vielleicht im ganzen Album etwas blueslastiger als sonst. Die Kollegen loben Miles‘ Ton. Frisell meint, dieser sei so schön, dass es leicht sei, zu vergessen, wie viel Kraft in ihm stecke. Er sei zudem einer der verblüffendsten Begleiter, mit denen er je gespielt habe: „He makes everybody sound better. It’s like playing with Herbie Hancock, somebody who affects the music from the inside. Everything he plays is more than a solo statement; it’s also for the good of the group“ (Frisell in Mercers Liner Notes). Er verteilt allen Musikern die kompletten Charts, damit sie sehen, wo die anderen was spielen werden und „because he cares about how the people understand the world around them“ (Moran in Mercers Liner Notes).

Die Erweiterung des Trios führt hier, finde ich, tatsächlich zu „more is more“. Warum ich bei Morgan manchmal Zweifel habe, verstehe ich nach seinem Auftritt hier wieder einmal überhaupt nicht mehr. Er ist hellwach, immer da, auch wenn er sich nie in den Vordergrund drängt. Sein Ton relativ flach und nicht sehr voluminös, aber auch da: eine stete Präsenz, immer zu fühlen – ein gekonnter Einsatz der Mittel. Moran und Frisell kommen die allermeiste Zeit sehr gut miteinander klar, es gibt auch faszinierende Momente zwischen den beiden, gerade im zweiten Stück, das vielleicht der Kern des Albums ist, das 13minütige „Darken My Door“. Ganz toll ist auch der langsame Closer, „Is There Room in Your Heart for a Man Like Me?“. Wie Miles auch hier wieder zu seinen Wurzeln geht, das ganze aber aus einer Perspektive angeht, die seine Avantgarde-Erfahrung miteinbezieht, ist wirklich toll. Lassen wir Mercer das letzte Wort, aus ihrem Abschnitt zum Closer, aber durchaus allgemein gültig: „The music’s mood of searching, of collective quest rather than attainment, gives you a felt sense of Ron’s métier. Like those Memphis sanitation employees, Ron has a worker’s pride, particularly in the musicians‘ art and craft of improvisation. For him and for jazz, collaboration counts more than results. Process counts more than product.“

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