Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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vorgarten

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paul gonsalves, cookin‘, 1957

ich muss gestehen, dass mich die tenorsax-diskussion gerade ziemlich inspiriert, ich hatte nie darüber nachgedacht, dass sich dieses instrument seinen weg ins rampenlicht mal erkämpfen musste. tatsächlich war das in dem ellington-material mitte der 50er zu spüren: wie identifizierbar der ton von hodges da herausstach, wie toll er diese musik repräsentiert, während gonsalves manchmal fast unterging, seinen job machte, arbeiten musste. dann kam der arbeitssieg in newport und hier hat er nun seine erste leader-session, während eines ellington-engagements in chicago, und natürlich nimmt er ein paar bandkollegen mit.

das ist eine wirklich fantastische session, die ich nie so richtig gewürdigt habe. das erste stück, „festival“, ist tatsächlich ein cooker, die band groovt, der leader schraubt sich mit immer neuen ideen nach vorne, ein nachbau des newport-momentums, der aber verrückterweise wirklich hinhaut. dann kommen aber ein paar bop-themen, dann eine schmalzige ballade, gonsalves zeigt seine ganze bandbreite, während sich die kollegen, auch clark terry (der der instrumenten-tradition nach der leader sein müsste, hätte es eben newport und die neue tenorsax-begeisterung nicht gegeben) sich zurückhalten. es gibt eine gewissen theatralik in dem ganzen, die ich ellingtonisch lese, und die mit bebop nichts zu tun hat. aber man kann die musik nicht darauf reduzieren.

es gibt eine wild card hier, den einzigen nicht-ellington-mann, willie jones am klavier. seine soli sind völlig verrückt, übersprudelnd, aus tonart und rhythmus rausrutschend, mit wilden läufen das kaschierend, nicht selten quasi im freejazz landend. eine merkwürdige mischung aus hazel scott und sun ra, dachte ich, bis ich las, dass sun ra selbst ein großer willie-jones-fan war. so viele momente bekommt er hier nicht, aber es ist faszinierend, wie man mit ihm umgeht: gonsalves greift diese risqué-momente auf und begibt sich aufs glatteis, gibt den gilmore zum ra – während terry unbeeindruckt seine trickkiste öffnet und schließt. ein stück wie „funky“ geht dabei mittendrin fast ein, aber man müsste nur das trompetensolo rausschneiden und hätte einen rasierklingenritt, der weit über 1957 hinaus schaut.

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