Antwort auf: Umfrage: Die 20 besten Tracks von Tocotronic

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jackofh

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Von der deutschsprachigen Musikpresse bis ins Feuilleton der großen Tageszeitungen: Tocotronic sind längst die deutsche Indieband, auf die sich alle einigen können. Das war nicht immer so. In der Anfangszeit, den später von der Band selbst so genannten „Hamburg Years“, galten sie zwar als furiose Liveband. Doch mit den technischen Fertigkeiten und der Theorielastigkeit der Platzhirsche der „Hamburger Schule“ konnte und wollte die Band erst einmal nicht mithalten. Stattdessen produzierten Tocotronic rumpeligen Lärm mit Schießbuden-Schlagzeug und Gitarrenverzerrern am Anschlag – aber vor allem: plakativen Texten aus dem „echten Leben“, die für das Indiepublikum breit anschlussfähig waren und deren Sloganhaftigkeit fast keine Besprechung vergaß, zu erwähnen (genauso wie den eigenwilligen Modestil der drei Musiker).

Kerstin Grether in der „Spex“ 1995 über das Debütalbum „Digital ist besser“: Die Texte sind straight und einfach gestrickt, ernst und jung und traurig, verstockt, peinlich und wütend. Drei Freunde auf Gitarrenschnitzeljagd. Mit angeödetem Klagewutgesang über unverschuldete Langeweile und ritualisierte deutsche Sonntagnachmittage. Und so ein selbstverständlich grenzziehendes „Ich verachte euch“ läuft einem nicht jeden Tag über den Weg.

Benjamin von Stuckrad-Barre, RS 4/96: Tocotronics Arbeitsprinzip erscheint so simpel wie unerklärbar. Versuchen sollte man es aber. Die Musik vermeidet Klarheit, Soli sterben schnelle Tode. Schön? Laut! Es gibt auch Melodien. Ein etwaiger Werte-Kosmos wird grinsend niedergemetzelt, alles gleichgemacht. So wichtig wie Gitarrenpreise sind per Punk-Definition auch Wochenend-Depression und Kleinkünstler oder fahrradfahrende Freiburger. Das Gästeklo im Elternhaus oder halt eine, die Frau. Der Abflughafen ist variabel, Pilot und Ziel immer: ich – ich und mein Haß. Und wehe dem, der von Peinlichkeitsgrenzen redet. Das ist peinlich.

Helmut Ziegler, Die Woche, 28.7.1997: Das Leben, wie Arne und seine Freunde Dirk und Jan es führen, ist nicht eben revolutionär. Es entspricht dem selbst gewählten Außenseitertum einer mittelständisch geprägten Subkultur, böse formuliert: Man will wie ein Obdachloser aussehen, aber nicht so riechen.

Der Auszug aus dem Text von Stuckrad-Barre deutet es schon an: Am Anfang ihrer Karriere hatten Tocotronic viele Hater – gerade unter professionellen Popkritiker*innen. Auf die oben zitierte euphorische Besprechung von Kersty Grether in der „Spex“ (und der Prämierung als „Platte des Monats“) folgte nur eine Ausgabe später eine Abrechnung nebst konfrontativem Interview. Dass die Musik der Band auch als Authentizitätsterror egozentrischer Langeweiler wahrgenommen werden konnte, brachte am schönsten wohl Martin Büsser in seinem Verriss auf den Punkt. Hier als Videoperformance – wunderbar im Stile der Musikvideo-Ästhetik von Tocotronic (ca. K.O.O.K.) – von Büssers Redakteurin Marit Hofmann inszeniert:

Das nur als kleiner Reibungspunkt zu Beginn dieser Umfrage … Denn es folgte ja noch die postmoderne Wendung des „Ich“ seit dem Album K.O.O.K., die „Berliner Trilogie“, ein adoptiertes, neues viertes Bandmitglied – und fortan ein gefeiertes Album nach dem anderen. (…)

Da ich jedoch gerade merke, dass dieser Text ausufert, breche ich hier einmal ab. Ich werde versuchen, auf das Offensichtliche und das ein oder andere Abseitige im Werk von Tocotronic während der Umfrage noch weiter einzugehen. Und zwar als Kommentar der Listen, die hoffentlich in einer ordentlichen Anzahl an dieser Stelle eintreffen werden. Angemeldet zu dieser Umfrage sind: @jesseblue, @ragged-glory, @penguincafeorchestra, @gipetto, @doc-f, @magicmatthes, @duplo, @madmartl, @yaiza und @stardog. Es dürfen sich aber natürlich auch alle anderen Foris gerne hier beteiligen.

Also, Tocotronic-Ultras: auf ans Listen-Werk!

    Tag auf dem Herrenklo im Haus der Berliner Festspiele

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