Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,141

herr-rossi Ich halte diesen beliebten Vergleich mit der Kulturrevolution weiterhin für völlig überzogen

Klar, die Kulturrevolution war natürlich schlimmer.

und letztlich am Thema vorbei,

Das finde ich nicht.

denn es framet „Cancel Culture“ als spezifisch links, und das ist schlicht und einfach ein rechter Mythos, der davon ablenkt, dass man sich dort genau der gleichen Mechanismen bedient und dass es solche Konfliktverläufe auch abseits des rechts-links-Schemas gibt.

Dass es linke Cancel Culture gibt, ist aber kein Mythos, sondern eine Tatsache. Was mich daran empört: Die Linke (die doch eigentlich für Universalismus und freien Diskurs stehen sollte) bedient sich teilweise haargenau derselben identitätspolitischen Mundtotmachungsstrategien wie die extreme Rechte (von der ich sowieso niemals irgendwas Gutes erwarten würde). Eine Linke, wie ich sie mir wünsche, sollte in der Lage sein, die Nachtseiten ihrer eigenen Geschichte zu reflektieren und daraus zu lernen. Und wo sie das nicht schafft, sondern in ungute Muster der Vergangenheit zurückfällt, hat sie Kritik verdient. Dabei ist mir völlig wurscht, ob die Rechten auch schlimm sind (sind sie natürlich!) oder sogar noch schlimmer (sind sie).

Es ist ein Phänomen der Social Media-Ära und wird dadurch befeuert, dass Interaktion das wichtigste Gut für die entsprechenden Plattformen ist, und nichts triggert Interaktion so sehr wie kollektive Aufregung und Empörung.

Das ist natürlich richtig, aber auch eine Binse und zur Erklärung explizit politisch motivierter Cancel Culture nicht ausreichend. Denn links wie rechts kommt da zum socialmedialen Empörungsklima noch etwas weiteres dazu – allerdings nicht dasselbe, glaube ich.

Meinem Eindruck nach speist sich linke Cancel Culture oft aus einem fundamentalistischen Drang, moralische Normen zu überdrehen. Rassismus beginnt dann im Extremfall bereits bei der falschen Smalltalkfrage („wo kommst du her?“) oder falschen Frisur (Dreadlocks zu weißer Haut), jedenfalls dem „falschen Bewusstsein“.

Rechte Cancel Culture hingegen hat, sofern ich das richtig sehe, meist einen rein taktischen oder strategischen Drive: den ÖRR vorführen (Oma-Umweltsau-Lied) zum Beispiel, Gegner in die Ecke drängen usw. Und dabei nutzen rechte Akteure sehr gekonnt und systematisch, oft geradezu perfide die leichte Erregbarkeit der digitalen Öffentlichkeit.

zuletzt geändert von bullschuetz

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