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Das Problem sind keine Kinks und auch nicht verstrahlte Leute, die sich als Füchse und Drachen identifizieren.
Das Problem, dass ich – ganz grundsätzlich – mit „Wokeness“ in seiner heutigen Ausprägung habe, ist der Umstand, dass Empfindungen / Gefühle zu nicht reflektierbaren, unantastbaren Fakten stilisiert werden, dass Selbsteinschätzungen von „Betroffenen“ praktisch sakrosankt sind und dass Infragestellungen sehr konkret geahndet werden sollen. Die Diskursverschiebung hat ab da stattgefunden, als viele offenkundig im Fahrwasser begriffen haben, dass „Ich fühle mich verletzt“ als Statement auch als Waffe verwendet werden kann (weil niemand Gewalttäter mag und es auch wenige gibt, die sich so sehen wöllten). Ich bin überzeugt, dass es auch eine Unterscheidung zwischen „Opfern“ und „Opferrolle“ als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen gibt (freilich geht auch beides gleichzeitig). In einem Talk wurde mal gesagt: „Wer möchte denn bitte ein Opfer sein?“. Die Wahrheit ist doch vielmehr: Sich als Opfer zu stilisieren kann riesige Vorteile haben und dafür gibt es durchaus klare Motive. Ohne die selbst zugeschriebene Opferrolle wäre doch gerade wiederum auch die AfD in der jetzigen Form gar nicht denkbar. Und natürlich werden derlei manipulative Taktiken nicht nur von Rechtsaußen genutzt.
Ein Problem, dass ich ebenso sehe, ist, dass viele Menschen diese fast ausschließlich rein akademischen Peergroup-Diskurse gar nicht inhaltlich verfolgen, aber ein sehr feines Gespür dafür haben, wenn sie auf mehr oder weniger subtile Weise manipuliert und vereinnahmt werden. Diese Leute sagen heute eben nicht mehr: „Wenn Du nicht so sprichst, wie ich will, fängst Du Dir eine“, sie sagen ganz zart „Du weißt schon, dass Du mich traumatisiert, wenn Du so sprichst. Möchtest Du das wirklich?“. Ich habe zu viele Clips und Streams in den letzten Jahren gesehen, um außer Acht lassen zu können, wie viele vermutlich narzisstische Verhaltensweisen den Diskurs mittlerweile vergiften und das teils mit großen Reichweiten. Sehr gut fand ich auf Basis meiner Erfahrung im Netz auch diese Analyse.
„Moral“ ist hier oftmals fast schon ein Platzhalter, es geht um das Stärken der eigenen Interessen, Macht, Rache, Aufmerksamkeit und mehr. Die Opferrolle entspricht hier vielmehr einem neuen Status, der diesen Menschen erst ein Privileg gibt – das Privileg selbst völlig frei von Verantwortung zu sein, jegliche eigene Aktion kann im Sinne von „Der Zweck heiligt die Mittel“ angewandt werden, um die teils herbeiphantasierten, zumindest aber nicht evidenzbasiert abgeleiteten „Machtstrukturen“, die zuteilen Verschwörungserzählungen gleichen, zu bekämpfen.
Ein Faktor ist in dem Kontext auch die Aufweichung und subjektive Auslegung jeglicher Begriffe. „Rechts“, „Links“, „Woke“, „Konservativ“ usw. haben eine enorme Spanne an Definition, je nach Peer, was zum Problem führt, dass für immer mehr Menschen, tatsächlich meiner Beobachtung nach linke Werte „irgendwas mit Veggieburger, Lastenfahrrad, abgehobenem Bildungsbürgertum und komischem Sprechen“ sein dürfte. Das ist schwerwiegend, weil es linke Politik konkret schwächt und wenig anschlüssfähig gestaltet und rechte, „volksnah“ inszenierte Politik stärkt. Die meisten Menschen wählen nun mal nicht auf inhaltlicher, sondern personeller Ebene. Wenn es keine Schnittpunkte, sondern stattdessen vielmehr Antipathie gegenüber „linke Repräsentanten“ gibt, führt das auch zu dem, was wir aktuell haben: Die AfD nach Prognosen als stärkste Partei in vier Bundesländern und eine Linke, die prozentual nicht mehr der Rede Wert ist.
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Hold on Magnolia to that great highway moon