Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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friedrich

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vorgarten

„funky“

FRAGE: Du überträgst dann ja auch auf Sachen wie den „groove“ so was wie eine geschichtliche Aufgabe, Subversivität zum Beispiel. Im Bezugssystem von „vermarktet und geklaut“. Kannst du anhand von bands oder bestimmten Entwicklungen in der aktuellen Musik sagen was das genau heißt?

DIEDERICHSEN: Was man sagen konnte, oder worauf sich das bezieht ist: „grooves“ sind von allen Elementen von Musik am wenigsten Autor-bezogen und am wenigsten inhaltlich bestimmt. Aber sie haben natürlich trotzdem eine Wirkung und Bedeutung, die zu bestimmten Zeiten für bestimmte Leute klar ist.
Und dann gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sie werden entweder entwertet, indem sie auf eine bestimmte industrielle Weise vereinfacht, verhunzt oder sonstwas werden und plötzlich in andere Bereiche vorstoßen. Und dann kann man sie sich zurück umcodieren. Das ist die ganze Geschichte von funky beispielsweise.
Da gibts ja viele interessante Stadien. Als zum Beispiel die englische new wave funkyness anfing, als bands, die vorher düstere Musik gespielt hatten auf einmal funky wurden, a certain (way of ?) funky wurden (, zu dem Zeitpunkt) war Funk aber ja in Amerika gar nicht mehr so viel wert für die Leute, für die ein funky groove mal was bestimmtes bedeutet hat zu einen bestimmten Zeitpunkt. Dann gab es plötzlich eine Wiederaneignung des funky groove durch diese ganzen New Yorker, Defunkt und solche Sachen, die lustigerweise zum selben Zeitpunkt stattfand wie die englische Aneignung. Und plötzlich bedeutete das wieder was anderes. Das sind solche Geschichten.
Die passieren nicht nur im Spannungsfeld zwischen den eigentlichen Besitzern und der bösen Kulturindustrie die das zerstört, sondern im Spannungsfeld zwischen allen möglichen verschiedenen denkbaren Besitzern, die was verschiedenes damit machen. Und das was sich dabei ergibt, was so was ist wie Bedeutung, aber eben nicht Bedeutung im Sinn von Semantik, sondern eine – naja subsemantische, was weiß ich – jedenfalls schwer zu bestimmende Art Bedeutung eben auch physischer Natur, das ist dann eben geschichtlich. Und dann kann man sagen. Zu dem und dem Zeitpunkt bedeutete das das und das.( Hegelsche Variante: dieses das und jenes, d. Skribent). Irgendwann gab es dann die Hip Hop Aneignung von Funk. Zwar hat Hip Hop sich auch immer funky genannt und funky ist ja auch ein allgemeinerer Begriff. Aber es gab einen ganz bestimmten Zeitpunkt, als plötzlich alle Leute anfingen James Brown zu sampeln und als alle irgendwann wieder damit aufhörten.

(interview von 1991, hier)
finde ich sehr interessant. 1980, als das defunkt-debüt herauskam, waren sachen wie „funkytown“ und „upside down“ in den usa auf 1.

Sehr schön!

Wenn man hier unten auf „Download“ klickt, kriegt man einen kompletten Scan der SOUNDS-Ausgabe Januar 1981 mit u.a. einem kleinen Bericht über Defunkt von DD. Auf Seite 18. Außerdem was über das Berliner Jazzfest, Grace Jones, die britische „Neo-Jazz-Funk-Band“ Pig Pag, Plattenkritiken von Neneh Cherrys damaliger Band Rip, Rig & Panic und James Blood Ulmer – und das alles kreuzt sich mit Punk, New Wave und Synthiepop, wird gedeutet, angeeignet und umgedeutet.

Wenn ich das lese, merke ich, wie sehr SOUNDS im Allgemeinen und DD im Besonderen meine Wahrnehmung von (Pop-)Musik „verdorben“ haben. Kontext, Subtext, Konnotationen überall.

Kleine Gedankenverkettung: Wenn ich mich recht erinnere, fängt der Autor RJ Smith seine ausgezeichnete James Brown-Biografie THE ONE mit einem Exkurs über die Trommel an. Der Beat als einfaches und grundlegendes, einerseits anonymes und andererseits verbindendes sozio-kulturelles musikalisches Element, auf den sich alle innerhalb einer Gruppe beziehen können. Der gemeinsame Beat und zwar auch körperlich. Und in Wolfram Knauers Duke Ellington-Biografie gibt es ein ganzes Kapitel über Swing – nicht als Stil sondern als Rhythmus, als Gefühl – der im Jazz ja auch erst in den 20er/30ern entwickelt wurde und das grundlegende musikalische (kulturelle, soziale …) Identifikationsmerkmal wurde. It Don’t Mean A Thing, If It Ain’t Got That Swing. Komme ich später im entsprechenden Thread ggf. noch mal drauf zurück.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)