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Gestern im Kino: Spell Reel (Filipa César, DE/PT/FR/GW 2017) – eine Dokumentation aus und über das wiedergefundene Filmarchiv Guinea-Bissaus, 2011 wiedergefunden und zu grossen Teilen beschädigt oder verloren. César – aus der ehemaligen Kolonialmacht Portugal – stellt sich den Fragen, die so ein Fund aufwirft: Wem gehören die Bilder? Wie können sie genutzt werden, um – in der Nachfolge des dekolonialistischen Kinos, des revolutionären Kinos, der Guerilla-Filmemacher, die das Material in den Sechzigern und Siebzigern gedreht haben – für einen gesellschaftlichen Prozess genutzt werden? César reist mit einigen der damaligen Protagonist*innen (und Filmemacher) mit einem „Kinomobil“ nach dem Vorbild Cubas nach der Revolution durchs Land, bringt die Bilder dahin, wo sie entstanden sind. Die vier Filmemacher waren auf Cuba ausgebildet worden, 1979 wurden sie zudem von Chris Marker besucht und „geprüft“ – ein paar ihrer Aufnahmen landeten dann in „Sans soleil“. Césars Film deckt aber auch Berlin ab, das Arsenal, das die Restauration des Materials organisierte (finanziert wurde das alles vom dt. Aussenministerium), einen postkolonialen Spaziergang durch die Stadt, Diskussionen an Festival usw. Das ist ordentlich trocken, aber dennoch sehr interessant. Der in die Bilder geschriebene Essay von César steht wohl seinerseits in der Nachfolge von Marker und fügt dem Ganzen noch eine Dimension hinzu … schon sehenswert, v.a. in der Einbettung, die es gestern gab: Volker Pantenburg, Leiter des filmwissenschaftlichen Seminars der Universität Zürich hält seit Ende Februar donnerstags seine „Filmtheorie“-Vorlesung im Filmpodium in Zürich, die ist also frei zugänglich und als Überblicksveranstaltung für jemand mit nur punktuellen und überhaupt geringen Kenntnissen wie mich durchaus lohnenswert (und ganz gut gemacht).
Nachtrag: Natürlich wird auch die Materialität des Films ins Zentrum gerückt: die Digitalisierung ohne eigentliche Restaurierung wird auch explizit thematisiert. Beschädigte Bilder wurden nicht restauriert, siehe Film im Film oben. Diesen Weg geht der Film immer wieder, daneben läuft der Essay-Text in einzelnen Sätzen oder Satzfragmenten, dazu neben einer Art rekonstruierten Dschungeltonspur (die gefundenen Archiv-Filme haben keinen Ton mehr) auch die Kommentare von den damaligen Protagonist*innen oder andere Aussagen von Beteiligten.
Schön auch eine Szene, als vor Vertretern des Bundes (nehme ich an) die stummen Bilder eines Auftritts von Miriam Makeba zu sehen sind: die beiden Krawattis tuscheln und kichern und hören nicht zu, dann äussert sich der eine fordernd: das sei jetzt schon etwas „arm“, diese Bilder so ohne Kontext … und der Kommentator (in der Regel ist das wohl stets einer der damaligen vier Filmemacher, zwei von ihnen sind in Césars Film präsent, wenn ich das richtig mitgekriegt habe) wiederholt einfach all das nochmal, was er schon sagte. Der Essay blendet dann dazu einen leider sehr passenden Satz ein, den ich mir nicht einprägen konnte, aber der besagt so etwas wie: Das Projekt habe auch die gewollt erzeugte gegenseitige Ignoranz offengelegt. Treffer ins Schwarze.
Danach im Heimkino leider nur in der dt. Fassung endlich mal La Dentellière (Claude Goretta, FR/CH 1977) mit der blutjungen Isabelle Huppert – toll!
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