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redbeansandrice
vorgarten (btw die fast fetischistische verwendung des n-worts im text über die niederländischen jazzclubs ende der 30er fiel mir auf, aber ich wollte jetzt nicht alles deepeln, um die nötigen kontexte herauszulesen…)
eben hierzu, kein Widersprich aber… zunächst mal: der Herr, Rudie Kagie (*1950), der diesen Text 2019 geschrieben hat, ist tatsächlich nicht irgendwer, der sich kurzzeitig in das Thema verirrt hat, sondern ein Journalist, der bereits seit 70er Jahren dutzende Bücher wie „Dit is Osman Özturk“ (1979) oder „De eerste neger“ (Untertitel: Erinnerungen an die Ankunft einer neuen Bevölkerungsgruppe, 1989)… (wiki). Und was mir in den Niederlanden schon auffällt, ist, dass der Umgang mit Sprache und Alltagsrassismus hier noch sehr viel, nun, sorgloser ist, als man das aus Deutschland oder gar den USA kennt… ja, der schwarze Piet ist weitgeend verschwunden, aber das war auch ein gesellschaftlicher Kraftakt… wenn du einen gebildeten Niederländer darauf ansprichst, dass der braune Zucker im Supermarkt Bastardzucker (Basterdsuiker) heisst, wird er erwiedern, dass dort ja in der Tat verschiedene Zuckersorten vermischt also quasi bastardisiert werden… (wiki, keinerlei Hinweis, dass irgendwer das Wort problematisch finden könnte – hat ja immer so geheissen und war ja nicht bös gemeint… ) Und die Recherchen von Kagie waren definitiv wertvoll – zum Beispiel hat er Mitte der 80er noch einmal Jimmy van der Laak gefunden und interviewt, den jungen Mann von dem Gemälde, der Kellner in einem der beiden Kabarets gewesen war und nach dem Krieg in Berlin unter anderem als Cocktailshaker arbeitete…
Was nun den Artikel über die „Negercabarets“ betrifft, so taucht das Wort ja vor allem in den Zitaten auf, da allerdings rauf und runter… und der Negro Palace und der Kit Kat Club waren halt auch keine Jazzclubs sondern „Negercabarets“, was hiess dass dort (bis auf den Besitzer, klar) keine Weissen arbeiten, von der Garderobendame bis zum Oberkellner, der gleichzeitig Stepptänzer war… und die Musiker eben auch. Dass im Negro Palace tatsächlich Coleman Hawkins ein ganzes Jahr lang reguläer spielte, während der Arbeit Abend für Abend zwei Flaschen Whisky trank, und sich trotzdem wohler fühlte als in den USA… das sagt vielleicht vor allem viel über die USA. Europa 1937 war bestimmt ganz anders als Europa 1947. Auf der Website des Stadtarchivs kann man sich hier durch hunderte von Seiten Polizeiakten rund um die beiden Klubs klicken, die frustrierten Berichte von Polizeibeamten, die diese Klubs am liebsten direkt geschlossen hätten, weil sich dort weisse Frauen mit schwarzen Männern trafen, denen aber die rechtlichen Instrumente fehlten… weil es halt einfach nicht verboten war… weswegen sich ihre Aufmerksamkeit sehr schnell auf mögliche minderjährige Besucherinnen richtete… die mehrfachen Verhöre (!) mit den Freundinnen Annie (15) und Maria (16) erlauben einen tiefen Blick in die Gesellschaft jener Zeit… wer ging eigentlich in so ein Kabarett und warum? Ich übersetze kurz aus dem Protokoll von Marias VerhörIn der Schule hatte ich vom Bestehen des „NEGRO KIT CAT CLUB“ in der Wagenstraat gehört. Da ich scharf („dol“) auf N* bin, weil sie so eine schöne Figur und so schöne Augen haben, fasste ich den Plan, dort einmal vorbeizugehen. Meine Freundin Annie fand sich bereit mich zu begleiten. Sie ist versessen auf N*-Jazz-Musik.
(Annie (15) bestätigte in ihrem Verhör, dass sie N* zwar auf die Entfernung „artig“ fände, von nahem aber doch gräuslich, ihr ginge es ausschliesslich um die Musik und ihre Rhythmen.)
kurz gesagt, diese Cabarets waren so seltsame Institutionen in so einem seltsamen Umfeld, dass jeder Text über sie schwierig werden muss
viielen dank fürs aufgreifen und die zusätzlichen einordnungen. auch hier kein widerspruch, mir geht es ja nie um sowas wie „journalist xy ist aber ein rassist!“ mir fiel erstmal nur die dichte an n-wörtern auf, die ja im wesentlichen aus zitaten der 30er jahre stammen. das wundert mich nicht, trotzdem finde ich es übel – ich habe in meinem studium schon viele deutsche texte der sogenannten neuen sachlichkeit gelesen, aktuell bin ich bei isherwood, das sind ja alles progressive, linke stimmen aus den 30ern, viele davon angehörige anderer diskriminierter minderheiten – und bei jeder beschreibung von menschen wird erstmal die sogenannte „rasse“ erwähnt/fixiert. die amsterdamer clubs haben offenbar daraus auch kapital geschlagen und ein alleinstellungsmerkmal ihres angebots sehr deutlich gemacht, und wo nicht segregiert wurde, schaute man in den 30ern eben übertrieben nach möglichen „vermischungen“ und den kosequenzen davon. die sexualisierung, die fixierung auf differenz, etc. – all das so eigenartig wie typisch. (ich habe auch noch gelesen, dass sich aus den besuchen der schwarzen us-jazzer so etwas wie ein eigener jazz in den niederlanden hauptsächlich surinamensischer prägung entwickelt hat, das wäre sicherlich auch ein spannendes thema, über das du vielleicht etwas weißt?).
was ich herrn kagie vorwerfen würden, wäre eine fehlende kontextualisierung, eine eigene haltung, die sich in seinem umgang mit zitaten zeigen würde. aber das liegt auch an seiner schreibtradition, er verwischt ja gerade die distanzen, um die schilderungen aus den 30er möglichst unmittelbar greifbar und anschaulich zu machen. und was du zum vergleichsweise wenig problematisierenden umgang mit bestimmten begriffen in den niederlanden schreibst, leuchtet mir auch ein bzw. finde ich interessant. ich frag mich da nur manchmal, ob „ons amsterdam“ nicht damit rechnet, eventuell auch leser*innen zu haben, deren familien aus surinam kommen? und warum werden nur die erlebnisse von annie und maria recherchiert und nicht die von den kellner*innen? mir scheint, dass das, was in den 30ern ziemlich skandalös erschien, auch 2019 ganz schön ausgebeutet wird – auch wenn man sich vorgeblich ein bisschen lustig macht über die alten zeiten…
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