Re: Musikzeitschriften

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mikko
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Ich pack das mal hier rein. Yellow Submarine hat diesen Artikel bereits im Musik Express Thread verlinkt, allerdings in einer kürzeren Version aus der FR.

Berliner Zeitung vom 29.1.10Nudeln oder Currywurst
Wie die Musikzeitschriften auf die Krise der Plattenindustrie reagieren
von Klaus Raab

Bei welchem Magazin ein Musikjournalist arbeitet, kann man an seinem Mittagessen erkennen: Bei Spex gibt es Nudeln. Bei Rolling Stone und Co. Currywurst.

Rolling Stone, Musikexpress und Metal Hammer aus dem Axel-Springer-Verlag sitzen seit Jahresbeginn nicht mehr im – was die Mietpreise angeht – hochwertigen Münchner Stadtteil Neuhausen, sondern in Berlin-Kreuzberg, drei Hausnummern entfernt von „Curry 36“. Spezialitäten dort: die legendäre Currywurst. Ohne Darm.

Das Musikmagazin Spex dagegen, das 2007 ebenfalls nach Kreuzberg gezogen ist, hat im August eine Tonne Nudeln von einem feinen Pastahersteller bekommen, dessen Logo seitdem zwischen Druckerei- und Vertriebsangaben im Impressum steht. Man wolle durch die Kooperation mit dem branchenfremden Partner auf Probleme vieler Printmedien aufmerksam machen, sagte Chefredakteur Max Dax damals. Die Auflage ist unter ihm auf knapp 20 000 Exemplare gestiegen; doch was er meinte, sind Anzeigenschwund und wachsende Abhängigkeit von Werbepartnern der Musikindustrie, die selbst in der Krise festhängt.

Wie die Musik- steht auch die Musikzeitschriftenbranche selbst vor einer großen Frage: Was tun mit dem und gegen das Internet, wo schon viele Meinungen zu neuen Platten sowie die Musik selbst zu finden sind, wenn die Printmusikjournalisten erst zu arbeiten beginnen? Was tun, wenn so die eigene Autorität flöten gehen?

Die Antworten? Die Zeitschrift Spex hat nichts weniger als „das Ende der Schallplattenkritik, wie wir sie kannten“, verkündet. Sie begründet diesen Schritt in der aktuellen Ausgabe mit den „medialen Entwicklungen der letzten Jahre im Internet“ und setzt auf einen „Neustart“ der Musikkritik als sogenanntes Popbriefing: „Statt eines Autoren, Betonung auf Einzahl, der aus seiner schlussendlich subjektiven Perspektive ein Album verreißt oder lobt, diskutiert ab dieser Spex ein Pool von Autorinnen und Autoren über die Musik zur Zeit.“

Das Magazin hat damit einigen Aufruhr verursacht, schließlich handelt es sich bei der Spex nach wie vor um ein Leitmedium der Branche, in dem es eher um das popkulturelle Ganze als um mundgerecht dargebotenen Service geht. Die Spex-Redaktion argumentiert, es entstehe durch die neue Form Offenheit. Tatsächlich lässt sich in kurzen Texten über Promoplatten wenig Überraschendes anstellen, dafür ist das Format zu starr. Kritiker aber halten dagegen, das Popbriefing – das Wort schon! – schränke in Wahrheit das Denken ein.

Manche der Texte des ersten Spex-Popbriefings sind intensiv und abwechslungsreich, andere leiden darunter, dass keiner der Teilnehmer seine Gedanken zu Ende formulieren kann, weil der nächste schon das Gegenteil sagen muss. So zeigt sich in der Neuerung der alte Hang der Spex, die Vordenkerschaft übernehmen zu wollen, sowie ihre schon bei der Nudelkooperation erkennbare Opferhaltung, nach dem Motto: Man zwingt uns dazu!

Und Rolling Stone, Musikexpress und Metal Hammer? Der Axel-Springer-Verlag feierte soeben in einem Desinformationsschreiben die im vergangenen Jahr gestiegenen Auflagen. Seit Ende 1999 aber ist die Auflage des Musikexpress von 75 000 auf etwa 55 000 Exemplare gefallen, die des Rolling Stone von 85 000 auf knapp 54 000. Auch hier wird nun etwas Neues ausprobiert. Nach dem Umzug der Musikzeitschriften und ihrer Redaktionen, die zum Teil aus mitgezogenen, zum Teil aus neuen Mitgliedern bestehen, dringt an Inhaltlichem zunächst nur so viel nach außen: Sie „bleiben dem bewährten Konzept“ der Plattenkritik „treu“. An allem anderen werde „getüftelt“.

Musikexpress und Rolling Stone teilen sich den neuen Chefredakteur Rainer Schmidt. Ulf Poschardt, der stellvertretende Chef der Welt am Sonntag, der 2005 allen Anhängern des Pop eine Wahlempfehlung gegeben hatte – „die FDP“ – und der mit einer Arbeit über DJ-Kultur promoviert hat, wird zusätzlich Herausgeber der Musikmagazine. Auch das Subkulturmagazin Metal Hammer, dessen Auflage um die 50 000er-Marke pendelt, hat einen neuen Chef, den Heavy-Metal-Spezialisten Christof Leim. Schmidt leitet zudem – er und Poschardt kennen sich aus der Vanity-Fair-Chefredaktion – das unter dem Dach des Rolling Stone und eigentlich im Dreimonatsturnus erscheinende Sounds, ein Magazin mit großer Vergangenheit. Die Zukunft von Sounds ist allerdings ungeklärt: Das Gerücht, es liege auf Eis, wird vom Verlag dementiert, wann die nächste Ausgabe erscheine, sei aber offen.

Man könnte vom Konzept von Sounds lernen: Es gehe um „ein ausführliches Schwerpunktthema, das losgelöst von kurzfristigen Trends betrachtet wird“, hieß es, als das Magazin 2008 neu aufgelegt wurde. Klang nach einer Reaktion auf die medialen Entwicklungen: Kurzkritiken ab ins Netz, wo sie gegenüber der gedruckten Form ja tatsächlich nichts an Wert verlören. Und das ganz große Rad wird dann auf Papier gedreht. Insgesamt bedeutete die Loslösung „von kurzfristigen Trends“ aber vor allem, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen: mit den „250 besten Alben aller Zeiten“ oder mit „60 Jahre Pop in Deutschland“. Sounds, der Guido Knopp der Musikmagazine, wirkt in dieser Form eher vergangenheits- als zukunftsträchtig.

Bei Rolling Stone und Musikexpress wird wieder einmal die Frage zu klären sein, wie man sich abgrenzt. Thematische Überschneidungen wird es geben, solange sich beide der Diktatur der Plattenveröffentlichungstermine unterwerfen, von der die Spex sich durch die Umstellung auf eine zweimonatige Erscheinungsweise etwas gelöst hat. Die Magazine sind nicht mit den gleichen Inhalten bestückt, austauschbar sind sie zum Teil schon: Im einen Heft wird der Musiker Julian Casablancas vorgestellt, im anderen schreibt er selbst über sein Album. Das Album von Get Well Soon wird in beiden Heften besprochen und von der Plattenfirma beworben. Hier wie da dasselbe PR-Foto von Adam Green. Der Musikexpress listet die „Platten des Jahres“ von 50 bis 1 auf, der Rolling Stone wählt die Reihenfolge von 1 bis 25.

Veränderung muss also nicht schlecht sein, sagt auch ein Mitarbeiter. Und er ergänzt: dass man aber sehen müsse, in welche Richtung es gehe. Um sich ein Bild von dem Wandel zu machen, der da angestoßen werden könnte, hilft es, sich eine WG Bier trinkender, Kette rauchender lustiger Rocker vorzustellen, in die ein FDP-Wähler mit Sportwagen einzieht. Kann die Stimmung ruinieren. Oder richtig Drive reinbringen.

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