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Im engeren Sinne eigentlich kein Musikbuch, aber da ich Greil Marcus‘ Mystery Train auch hier einsortiert hatte …
Greil Marcus – Lipstick Traces (1989, dtsch. 1992)
Wer immer schon mal wissen wollte, wo der Zusammenhang zwischen dem Münsteraner Täufer Jan van Leiden aus der Reformationszeit, der Pariser Kommune von 1871, Dada, der Situationistischen und der Lettristischen Internationale, Punk und anderen mehr oder weniger subkulturellen Bewegungen ist, der ist bei Greil Marcus’ Lipstick Traces richtig.
Greil Marcus scheint die Kulturgeschichte der europäischen künstlerischen Avantgarden des 20. Jhdts. in- und auswendig zu kennen und spinnt ein komplexes Beziehungsgeflecht, von dem die ursprünglichen Protagonisten wohl selber nichts wussten. Wie von ihm nicht anders zu erwarten, springt er chronologisch hin und her und schweift wild assoziierend ab. Manchmal verstehe ich ganze Absätze überhaupt nicht, weiß nicht, wovon er überhaupt redet, dann wiederum gibt es frappierend knapp auf den Punkt gebrachte Aussagen, fast wie Aphorismen, bei denen es mir wie Schuppen von den Augen fällt und die ich mir am liebsten eingerahmt an die Wand hängen möchte.
Aber was haben die oben genannten Bewegungen und Figuren gemeinsam? Schwer zu sagen. Alle rebellierten in der einen der anderen Weise gegen den status quo, jeweils zu einer Zeit in der die herrschenden Verhältnisse sich selbst überlebt hatten, in die Krise gekommen und morsch geworden waren, sich aber noch mit Krücken auf den Beinen hielten. Sei es die bürgerlich-aristokratische europäische Gesellschaft gegen Ende des 1. Weltkriegs, der muffige Angestellten- und Konsumsumpf der späten 50er/frühen 60er Jahre oder das wirtschaftlich und moralisch heruntergekommene Großbritannien (und die USA) Mitte der 70er. Dada, die Situationisten und Punk setzen da an, legen den Finger in die Wunde und bringen mit einem Nadelstich die gigantische schlaffe Blase zum Platzen. Dabei erheben sie gar nicht den Anspruch, eine Lösung parat zu haben. Nein, es geht ihnen vielmehr um die Bewegung und den Wandel an sich. Erst mal trotzig die Zunge raus strecken und sehen, was passiert. Schöpfung durch Zerstörung. Was zählt, ist der offensive Non-Konformismus, die Eigeninitiative und der Sprung ins Unbekannte. Und da es um ständige Veränderung geht, bleibt nichts von diesen Avantgarden erhalten. Wie Spuren von Lippenstift auf einer Zigarette. Aber die davon ausgegangenen Schockwellen bleiben spürbar und inspirieren immer wieder neue Bewegungen.
Kann man das so sagen? Zugegeben habe ich das Buch nicht einmal ganz durchgelesen. Bei ca. Seite 380 hatte ich das Gefühl, Greil Marcus walzt das gleiche Thema immer wieder und weiter aus und ich hatte ihn schon irgendwie verstanden, sofern man Lipstick Traces überhaupt inhaltlich festnageln kann. Denn vielleicht hat Lipstick Traces gar keine eindeutige Botschaft, sondern will eigentlich auch nur die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Ausgang ungewiss. Im Netz fand ich dieses Zitat: „That book about how Johnny Rotten started the French Revolution.”
Ich dachte: Eigentlich müsste ich konsequenterweise morgen meinen braven Angestelltenjob kündigen. Oder besser: Ich gehe morgen einfach nicht mehr zur Arbeit und die können mich alle mal! Was kann mir schon passieren? Habe ich dann aber doch nicht gemacht …
Hier ein lesenswertes Interview mit Greil Marcus von 1999 anlässlich einer Inszenierung von Lipstick Traces als Tanztheater. Echt! Da gibt es nicht nur ein ziemlich gutes, leider etwas kleines Bild mit Darstellung von Greil Marcus’ wilden Assoziatonsnetz zu sehen. Man kann auch ein paar Worte aus seinem Munde zur Relevanz der Rolling Stones 1969 bzw. 1999 lesen, was viel über die Relevanz von Pop und Rock insgesamt aussagt, über das Stones-Fans aber nicht sehr erfreut sein dürften.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)Highlights von Rolling-Stone.de„I Put A Spell On You“ von Screamin‘ Jay Hawkins: Horror-Heuler
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