Antwort auf: Forum macht Pause und kommt neu

#12210557  | PERMALINK

herr-rossi
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Registriert seit: 15.05.2005

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bullittInteressentante Sichtweise, die ich tatsächlich so gar nicht nachvollzeihen kann. Es war 2002 doch komplett neu und spannend, dass man sich erstmals über Musik abseits des Mainstream-Pops austauschen konnte. Das war ja gerade das tolle am Forum. Logischerweise hat das Magazin seinerzeit hier noch die grobe St0ßrichtung vorgegeben, aber diese Acts waren doch sonst nirgends Thema. Erst recht nicht die unzähligen weiteren, noch viel abseitigeren, über die dann in kurzer Zeit hier die Thread aus dem Boden gesprießt sind. Dass ausgerechnet das dann 20 Jahre später bei der Beerdigung des Forums als „öde“ Phase gesehen wird, bis es hier dann na endlich auch um Mainstream-Acts ging, die ohnehin wirklich überall die maximale Aufmerksamkeit genießen, finde ich schon einigermaßen schräg.

Ich habe nicht gesagt, dass das Forum damals öde war, im Gegenteil. Aber die vorherrschenden musikalischen Vorlieben im Forum waren definitiv nicht meine. Für mich war das Tolle am Forum, überhaupt über Musik diskutieren zu können, mit Leuten, die genauso enthusiastisch sind, auch wenn ihre Vorlieben zum Teil komplett andere waren. Meine Interessen sind so breit gestreut, dass ich immer genügend Gesprächspartner hatte. Wie Dir vielleicht nicht entgangen ist, spreche ich ja auch gerne über Neuentdeckungen, Entlegenes, und insbesondere auch Neuzubewertendes. Ich warte ja immer noch gespannt auf die Ergebnisse Deiner vor Jahren geplanten Karel Gott-Exegese, auch wenn ich nie viel für Karel Gott übrig hatte, aber das hätte ich mit Vergnügen gelesen und es hätte meine Wahrnehmung vermutlich auch verändert.:)

Spannend war das Forum auch in der „Goldenen Ära“, insbesondere wenn gegen den Strich gebürstet wurde und Themen aufkamen, die „heikel“ waren. Man musste immer damit rechnen, dass man dann eine fette „muss der Mist jetzt auch noch sein“-Debatte am Hals hatte. Und bei Gaga wurde das dann zur Grundsatzdiskussion. Die mir sehr lieb war, denn ich möchte auch über „Mainstream“-Acts nicht „plaudern“, sondern diskutieren, mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie über Ramones oder Dylan.

In der Zeit gab es doch Foren und Boards wie Sand am Meer und bereits unzählige Gruppen in Netzwerken wie StudiVZ, die im Prinzip genauso funktionieren wie heute. Es war garantiert gar kein Problem, sich da mannigfaltig über Shakira auszutauschen (vermutlich habe ich das sogar gemacht;). Auf jeden Fall musste man sich doch nicht ausgerechnet im RS-Forum anmelden, um über aktuelle Chartphänomene zu plaudern.

Wie gesagt, ich habe mich hier nicht angemeldet, um über aktuelle Chartphänomene zu diskutieren, sondern über Musik in ihrer ganzen Vielfalt. Und da kenne ich nichts, dass dem RS-Forum im deutschsprachigen Raum vergleichbar wäre. Allerdings gehören für mich zum Gesamtbild eben auch „Chartsphänomene“, und wir haben ja bewiesen, dass man an ein und demselben Ort über Olivia Rodrigo und über „Nischiges“ diskutieren kann. Und ich meine, dass das Forum an thematischer Breite und Diskussionskultur in den 2010er Jahren noch mal deutlich gewonnen hat.

Naja, eben, diese WD-Hörigkeit war schon zeitweise lustig. Plötzlich feierten alle Matana Roberts ab und waren für zwei Wochen die totalen Free Jazz-Freaks. Vorher und nachher aber nie wieder. Das war dann schon etwas zum Fremdschämen, was nicht heißen soll, dass ich Matana Roberts klein reden will.

Also mal vermisst Du Gemeinschaftserlebnisse, und dann wieder sind Community-Phänome zum „Fremdschämen“. Ich sehe überhaupt nichts Verwerfliches darin, wenn man sich mal für ein Album begeistern lässt, das aus einem Genre stammt, dem man sonst fernsteht, ist mir auch immer wieder mal passiert. Ich weiß nicht, ob sich die Jazz Community hier im Forum davon gestört gefühlt hat. Wenn ich mal mitbekomme, dass jemand ein eines „meiner“ Pop-Alben schätzt, bei dem ich es nicht vermutet hätte und der sonst kaum Neigungen in die Richtung zeigt, freut es mich doch auch. Gatekeeping fände ich viel mehr zum Fremdschämen.

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