Antwort auf: die gitarre in der klassischen musik des 20. & 21. jahrhunderts

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Und ich danke Dir! Mit Schneider und seinen Goldbergs habe ich noch nicht weitergemacht, aber die Noten liegen schon bereit … Den Guitarsalon werde ich mir später ansehen, gleich erst einmal die Sarabande von Poulenc. Es ist doch interessant, wie man sich Wege suchen kann / muss in der Fülle und welche man wählt. Für mich ist das, da es um die Gitarre geht, doppelt und dreifach nicht vertrautes Feld (was auch das Meiste drüben im Jazzthread betrifft), sagte ich ja schon, von ein paar Werken abgesehen. Aber so sehe ich mir die Liste an und möchte da auch picken nach den Komponisten, von denen ich schon einmal anderes gehört habe – diese sollen mir also das Gehen leichter machen. Da interessiert mich z. B. Krenek, Manfred Trojahn, Wadada Leo Smith – und von Henze und Berio habe ich Royal Winter Music und die Sequenza XI sogar im Regal, aber so lange nicht gehört, dass ich dies nun mit dem neuen Interesseboden ganz neu angehen kann.

Und eben auch mit den Caprichos Goyescos (vol. 1; wobei vol. 2 wohl beabsichtigt war, aber nicht realisiert wurde, zumindest werden im Booklet Kompositionen u. a. von Bernd Franke, Andras Hamary, Claus-Steffen Mahnkopf, Maurizio Pisati und José Maria Sanchez Verdú angekündigt), die nun schon Samstag hier eingeflogen sind. Alles Auftragswerke von Jürgen Ruck und also ihm gewidmet. Der Text für das informative Booklet stammt von Ruck, die meisten Caprichos, die sich die Komponisten – und die Komponistin Cathy Milliken, ansonsten ist noch Lisa Spalt, wenn das mal keine nom de plume ist, da, die mit Clemens Gadenstätter zusammen ein höchst forderndes, mit allem harschen Witz gespicktes Werk Ruck auf die Beine gelegt hat – die meisten Goya-Vorlagen sind also auch wiedergegeben.

Das „Programm“ besteht schlicht darin, etwas zu den Caprichos zu machen. Sonst keine Vorgabe. Die Grafiken müssen demnach in Musik transkribiert werden und Jürgen Ruck hebt in seinem Text auch gleich mit einer eigenwilligen, aber sehr aufschlussreichen und für mich fruchtbaren Erläuterung dieser Art von Transkriptionen an. Er geht nämlich vom Technischen weg und natürlich könnte man mir hier vorwerfen, dass ich das alles ganz simpel-technisch vorstelle, wenn ich von Transkriptionen spreche. Aber das ist Absicht, man könnte auch allgemeiner Adaption sagen, aber eine Lösung sehe ich da auch nicht. Ruck holt sich also Arnulf Rainer zur Aufhellung, von ihm sieht man auch ein Werk als Cover. Die gewonnenen, geschaffenen Auseinandersetzungen mit Goyas Caprichos, seien – eben Rainer zufolge zu seinen Werken – Ergebnisse einer „energetischen Transformierung“. „Verwandlung, Umwälzung abgelagerter Kräfte in neue präsente Menschen oder gegenwärtige Strahlung, Energie.“ Zugegeben, das hört sich nach Worten aus dem hohen Haus des Seelenverstehens an, und meistens suche ich da das Weite. Indes, ich habe mir angewöhnt, so etwas angesichts der Werke herunterzuschrauben – auch, soweit es geht, meine Aversion – und da bleibt für mich hier: Da ist eine Bewegung, erstens die von Goya, zweitens die der Betrachter, seien sie Komponist*innen oder nicht, und drittens die der Komponist*innen, die in ihren Tonmöglichkeiten und Klangvorstellungen wieder etwas „aufs Papier“ bringen. Das macht es echt nicht einfacher! Es wird einem auf solchen Programm-Platten eine kleine Enzyklopädie vorgelegt, und ich persönlich finde mein Staunen gut, dass die Komponist*innen noch leben. (Habe ich nicht geprüft, aber möglich wäre es.) Bei Goya hatte ich keinen Zweifel …

Jetzt bin ich da also anderthalb Mal durchgegangen und ich übertreibe nicht, wenn ich beides sage: Dieser glasklare Gitarrenklang von Ruck, auch dort, wo er richtig zu tun hat, ist das eine; das andere, dass die Möglichkeiten der Gitarre wirkliche Möglichkeiten sind, die mir ins Ohr gehen. Aber das spielt gerade weniger eine Rolle.

Interessanter finde ich den etwas größeren Zusammenhang all der „Beziehungskunst“ (Transkription, Adaption …), die sich in den „Ablagerungen“ manifestiert, – recht besehen, ein anachronistischer Witz von Rainer, der immer das Epigonale einbezieht, weil es irgendwann eben nicht mehr anders ging, die Zeit der Genies war vorbei, im Moment als sie begann. Warum auch nicht. Wie man sich auf alles beziehen kann, mit Köpfchen und Kopf, Satire und Spott, Häme und Verzweiflung, Trauer und Zugucken, und eben: Hinsehen.

Das alles wird noch nicht zu Ende gehört sein, denn immer sind da ja, siehe oben, die Drei, und dann noch die Vierten, wir, die wir es hören, was aus allem geworden ist. Und wie die Ablagerung und das Freischaufeln weitergeht. Die Zeiten sehen allemal danach aus, dass es schwierig wird. Die Verdunkelung – zeitgenössische Anmerkung – nimmt zu. Nein. Entfesselt sich, ermuntert sich. Vermutlich war das in Goyas Land auch so. Ziemlich sicher.

Wie auch immer, ich muss da näher dran, so etwas wie Gadenstätter und Spalt da machen – Ruck muss spielen und einen üblichen Jahrmarktsdialog dazu sprechen – der Mann will Busen, die Frau, wieso? Reichts nicht, der Mann, doch, die Frau, na also, aber der Mann will Busen, die Frau, wieso? usw., ist noch einfach, weil sehr goyesk. Schwieriger ist dann die Frage des Zusammenklangs der Imagination von Goya und Überschreibungen von Ablagerungen. Oder sind es doch nur Zuschreibungen?

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