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Anonym
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vorgartenvielen ich weiß ja, dass mich niemand um eine solche liste gebeten hat, ich kenne ja noch nicht mal diesen bereich des forums so gut, als dass ich hätte einschätzen können, ob das vielleicht ein thema ist oder schon mal war.
Ob schon einmal etwas Thema war, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Man kann ja jederzeit etwas zum Thema machen oder es wieder machen; die Schwierigkeit ist womöglich eher, das zur „richtigen“ Zeit zu tun und frag mich jetzt nicht, welche das sei. Ob gerade die da sind, die Interesse oder / und Wissen haben und beides teilen möchten, und welche der Imponderabilien des Tagesgeschäfts es sonst seien. Bei der Gelegenheit: In einem Stones-Forum sollte es doch viele geben, die sich mit der Gitarre auskennen, Leidenschaft für sie haben, aber es scheint, als seien die Grenzen kaum zu überwinden. Ich finde, wenn eine Stimme, ein Thread sich erhebt, hört man gleich, ob das eine Stimme ist, bei der man mitsingen kann. Gewiss, auch ich lese oft nur mit, muss mich zum Schreiben auch zunehmend am Schlawittchen packen und es zur Motivation zusammenflechten … wie viele Hölzer legt man sich selbst in den Weg. Ich sage das alles so, im Battle gegen die Frustration, die Du vielleicht haben magst.
fast alle scheinen sich mal darangewagt zu haben, und ich frage mich, wie machen sie das: sich mit den eigenarten verschiedener instrumente für ein neues stück zu beschäftigen? in der zusammenarbeit mit instrumentalist*innen, wahrscheinlich. britten hat sich mit dowland beschäftigt, auch das lag nahe. man müsste eigentlich noch boulez aufnehmen, sein „marteau sans maître“ hat eine höllische schwierige, markante, gitarrenstimme, aber das werk ist eben nicht um sie herum gebaut (genausowenig wie henzes „cimarrón“, deshalb habe ich das wieder rausgenommen).
Das ist sicher ein Punkt und vieles entsteht ja auch durch eine wechselseitige Wahrnehmung der Akteure, Spieler und Komponisten, also Menuhin zum Beispiel möchte eine Solosonate, und Bartók, fast schon tot, gibt sie ihm. Vielleicht kann man es sich auch so denken, dass Menuhin ihn noch ein bisschen am Leben wissen will. Es gibt ganz sicher auch Tipps von Interpreten für’s Instrument, was Beethoven ja völlig egal war. Oder sie, die Spieler, wie Joachim, fuhrwerken im Nachhinein an solchen Insistierungen von Schumann wie seinem Violinkonzert herum. Aber das sind Violinsachen, die fallen mir eher ein als Gitarrensachen, so anders dürfte es sich aber nicht verhalten?
Kurtág zum Beispiel, und Mist, schon wieder Violine (aber ich komme gleich noch auf den „Grabstein“), hatte für seine Kompositionen für das Instrument eine Imitation einer Geige aus Papier oder Pappe! Vermutlich, um zu prüfen, ob „das“ eine menschliche Hand überhaupt greifen kann.
Aber Dein Gedanke geht auf etwas anderes, oder? Wie kommt ein Komponist, eine Komponistin – wo sind die eigentlich in der Liste? – dazu, die Gitarre einzubringen? Im Sinne von: für diesen musikalischen „Gedanken“ brauche ich die Gitarre. Und da kann man aber doch direkt springen und fragen: Wie legitimieren sich eigentlich Bearbeitungen, Adaptionen, Transkriptionen? Aber warum sollten sie nicht legitimiert sein, wenn andererseits nicht wenige Komponisten diese Art der Ausweitung des Instrumentalen von vornherein gestattet oder befördert haben, oder sich selbst davon wie auf einer Suche haben leiten lassen wollen (Bach, Schumann, bei den Jüngeren weiß ich es schlicht nicht, Kurtág ausgenommen, der frühe Gitarrenstücke, op. 6, glaube ich, verworfen hat und dann für Cymbalon u. Ä. genutzt hat). – Und was ist Musik für Gitarre? Bei Gitarrenkonzerten ist es klar, bei Solokompositionen auch, aber, sind es quantitative Gegebenheiten, die dann Boulezens meisterlosen Hammer ausschließen? Vermutlich, vielleicht ist die Frage auch nicht ganz so wichtig oder irgendwie auf Abwegen. Sonst müsste man eine größer besetzte Symphonie auch wahlweise als ein Werk für erste Geigen mit Begleitung bezeichnen können, was, zugegeben, echt abwegig wäre. Also, mir scheint, ich bringe gerade zu viel durcheinander …
Deshalb konkret zum Grabstein:
auch das ein streitfall: wird das stück wirklich von der gitarre bestimmt? ist sie nur eine farbe? der satz ist sehr einfach, viele akkorde aus leeren saiten, und doch… ich liebe das stück sehr, ich kenne kein anderes mit einer vergleichbaren stimmung, und der jähe wechsel in die kakofonie erschüttert mich (und meine nachbarn) jedes mal. ich kann mir kein anderes instrument denken, dass man statt der gitarre ins zentrum setzen könnte.
Die Liebe zu dem Stück teile ich völlig! und unsere Nachbarn haben das hinzunehmen. Den Streitfall würde ich aber anders sehen; erstens, kann eine Farbe nicht bestimmend sein? Dann, steht die Gitarre im Zentrum? Wie ist das Zentrum zu fassen? Linear gesehen ist es die Kakofonie, der empörte, sich nicht einkriegende Ausbruch. Als ich das jetzt wieder gehört habe, in der Interpretation von de Leeuw (Elliott Simpson Gitarre; Jürgen Ruck spielt es im Porträtkonzert mit Eötvös), hat mich fast erschlagen, dass kurz vor dem Ausbruch die Instrumente sich wie menschliche Klagelaute anhören. Am Grab. Oder ist das Zentrum die Zusammenfassung einer Imagination, gehalten permanent, zumindest vorne und hinten, wie von zwei Armen der Gitarrenleere? Eines ist der „Grabstein für Stephan“ jedenfalls nicht: ein „verkapptes Gitarrenkonzert“, wie Wolfgang Sandner im Booklet zur ECM-Ausgabe meint. Frage mich erneut nicht, wie man darauf kommen kann. Oder irre ich mich da?
In dem mit Gedanken, Arbeitsäußerungen, Filiationen vollgespickten Band: „György Kurtág – Drei Gespräche mit Bálint András Varga und Ligeti-Hommagen“ nennt Varga einen Brief von Kurtág an die Mitglieder der Berliner Philharmoniker, zu beachten für die Uraufführung. Varga sagt im Gespräch mit Kurtág (Marta ist übrigens immer dabei, die Kluge), ich hoffe, das zu zitieren, ist hier erlaubt: „Du machtest sie darauf aufmerksam, dass sie sich von dem allzu einfachen Notenbild nicht irreleiten lassen sollten. Wenn sie verstünden, was hinter den Noten und Tönen stecke, würde ihnen ein erschütterndes Erlebnis zuteil werden.“ Das kann man als Allerweltsklausel für jedes Werk halten – „wenn ihr nur wüsstet und verstündet …“. Nein, ich glaube, auch deshalb ist das Werk für mich einzigartig, dass es hier tatsächlich um das Außerordentliche, nicht zu Begreifende, aber Tatsächliche geht. So wie Werner Schroeter auf die Frage nach dem „natürlichen Tod“ knapp zurückfragte: „Gibt es einen natürlichen Tod?“ In wieweit das alles mit der Gitarre zu tun hat, als solcher, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es bei Kurtág in diesem Werk funktioniert, unabänderlich erscheint.
jürgen ruck und elena casoli sind gitarrist*innen, die aktuell sehr umtriebig sind, unterrichten, spielen, aufnehmen, neue werke verlangen. so kam ich auch auf schneiders goldberg-variationen, ohne sie zu kennen: weil ruck sie aufgenommen hat.
wie die goldberg-variationen zu verstehen sind, müssen wir gemeinsam herausfinden! mit den bearbeitungen bin ich auch unschlüssig, da gibt es natürlich viel, von bach bis ligeti. manchmal hat der komponist (die komponistin) die bearbeitung abgesegnet, dann fand ich das werk listenreif. takemitsu hat lennon/mccartney für klassische gitarre arrangiert, das ist ein sehr populäres werk… ich weiß nicht.
Die Goya-Einspielung von Ruck und Casoli habe ich jetzt bestellt, wie bei Schneider und seinen Goldbergs weiterzukommen ist, weiß ich nicht. Ohne sie auch zu bestellen, aber das scheue ich noch. Im Netz habe ich nichts Näheres gefunden. Und Bach hat das Werk von Schneider doch nicht abgesegnet? (Gould hat für alle möglichen Bearbeitungen oder Arrangements oder Transkriptionen von Bach eine große Bresche geschlagen, weil Bach für ihn nicht instrumentengebunden war, er erwähnt irgendwo sogar eine Bearbeitung für Saxofon-Quartett oder so ähnlich …)Auch das Beispiel Takemitsu (ich kenne dieses populäre Werk nicht, will nichts heißen) spricht vielleicht dafür, das Ganze sehr offen zu halten. Wenn man den Überblick möchte. Was ist aber mit der Entscheidung, die Gitarre prominent in einem Werk sehen zu wollen / können? Ich nehme an, man muss sich auf die Vielfalt der Möglichkeiten zurückziehen, also weite Felder in Augenschein nehmen.
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