Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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lotterlotta
Schaffnerlos

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Aus dem digitalen Booklet des beigefügten Downloads:

Zärtliches Tosen der guten Geister

Rechts hinten auf der Bühne: ein Tisch. Mit Werkzeugen. Darauf: Saxophone
und eine Klarinette, eine Flasche Wasser. Darunter verschiedene
Taschen und Koffer. Utensilien eines Handwerkers.
Der Handwerker, der das alles brauchte an jenem 4. November 2022 auf
der sehr geräumigen Bühne im Großen Haus der Berliner Festspiele, war
der deutsche Saxophonist und Free-Jazz-Vorreiter Peter Brötzmann. Für
sein bahnbrechendes Lebenswerk erhielt er an diesem Abend beim Jazzfest
Berlin den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik. Und direkt
danach hörte man: ein denkwürdiges Konzert, das nun gerade keine Free-
Jazz-Selbstfeier bot. Denn Peter Brötzmann, dieser 1941 geborene, immer
noch wohl wildeste Mann des deutschen Jazz, tat hier das, was Preisträger
selten tun: Er trat bescheiden in die zweite Reihe.
Die Musikstücke steuerte sein Kollege Majid Bekkas bei: Der 1957 geborene
Gimbri-Spieler und Sänger aus Marokko sang traditionelle Gnawa-Lieder
zu seiner tieftönenden Kastenhals-Laute, Lieder, die gute Geister anrufen
und böse vertreiben und mit ständig wiederkehrenden Bass-Patterns eine
tranceartige Energie entfalten können. Das fasziniert Free-Jazz-Musiker
schon lange, auch Peter Brötzmann hat schon in den 1990er Jahren die
Verschmelzung seiner Töne mit Gnawa-Klängen gesucht – damals bereits
mit dem Schlagzeuger Hamid Drake (Jahrgang 1955) aus den kreativen
Musikerkreisen Chicagos. Und nun ließen diese beiden mit Majid Bekkas
Gnawa-Lieder zu einer Feier der interkontinentalen Zusammenkunft
werden.
Von Anfang an ist in diesen Aufnahmen eine enorme Bündelung musikalischer
Kräfte zu spüren. Basstöne, die wie Beschwörungsformeln wirken,
Gesang von bezwingender Expressivität, ein Schlagzeug, das eine breit
gefächerte, klang- und kraftvolle Wucht entfaltet – und ein Blas-Instrument,
das ganz häufig schweigt, in den Hintergrund tritt, um im rechten Augenblick
rau schmirgelnde Energieströme von sich zu geben. Peter Brötzmann
wechselte in diesem Konzert zwischen drei verschiedenen Instrumenten
hin und her: Tenorsaxophon, Altsaxophon und Metallklarinette. In allen fand
er unterschiedliche Ausdrucksnuancen. “Catching Ghosts” – so kann das
klingen.

Roland Spiegel, Musikjournalist und Autor

 

 

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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!