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Gestern Song of Songs, Rouben Mamoulians Film mit Marlene Dietrich (US, 1933) – und die ist superb hier. Im Audiokommentar, den es auch auf dieser (oben verlinkten) Neuausgabe gibt, gibt es zahlreiche Einblick in die Dreharbeiten, etwa, dass Mamoulian und sein Kameramann Victor Milner schnell gemerkt hätten, dass Dietrich sehr genau wusste, was sie z.B. in Sachen Licht, Kamerawinkel usw. haben wollte, und sie auch oft machen liessen. Sie wirkt hier wohl freier, ja befreit, im Vergleich mit den klassischen Sternberg-Filmen (die ich längst nicht alle kenne und schon sehr lange keinen mehr von ihnen sah), kriegt zudem aufgrund des Plots auch die Chance, eine Entwicklung zu spielen, darzustellen, die vom unschuldig-naiven Landmädchen zur zynischen Grossstadt-Prostituierten geht – und das macht sie umwerfend gut. Für ihre Rolle waren zuerst Tallulah Bankhead und danach Miriam Hopkins vorgesehen gewesen … und sie scheint zumindest anfangs damit gehadert zu haben, dass nicht „Joe“ Regie führte, was wiederum auch Mamoulians Selbstsicherheit angegriffen habe. Mit Brian Aherne führte sie damals eine Liebesbeziehung und das merkt man dem Film wohl da und dort an. Besser als er ist aber der sadistische Baron mit Totenkopf an der Mütze seiner Uniform (irgendeine dt. Truppe trug das damals wirklich so), den sie dann heiratet – und nach allem, was man so weiss, war Lionel Atwill möglicherweise wirklich ein äusserst unangenehmer Mensch, der diesen Charakter jedenfalls überzeugend gibt. Ab der Hochzeit kann man den Film durchaus als eine Art frühen Horrorfilm lesen: wie Dietrich ins Schloss geführt, ihr das creepy Personal vorgestellt wird, das danach jeden Schritt beobachtet, immer auf Sex und Skandal hoffend, was denn auch eintritt (zusammen mit einem Feuer).
Auch wenn die Kamera im Vergleich zu Jekyll (der übrigens im Film von Mamoulian stets „Jee-kill“ gesprochen wird) ordentlich konventionell gerät, gibt es doch äusserst lebendige Szenen, natürlich eine kongeniale, typische Mamoulian-Ausstattung voller Requisiten, die nach dem Code nicht mehr denkbar gewesen wären (Statuen, Gemälde usw.), und eben: eine umwerfende Performance von Dietrich, die auch locker über die paar Längen hinwegrettet. Im Rahmen ihrer „Erziehung“ (der Künstler Aherne formt eine Statue, der Baron formt dann das Wesen aus Fleisch und Blut) lernt sie Französisch (grossartige Szene!), Klavierspielen und Singen – und singt dann Schuberts „Heidenröslein“ … und sie lernt reiten, mit dem creepy Stallburschen, der dann das Gärtnerhäuschen abfackelt, in dem sie sich ihm im Trotz hingibt. Später im Nachtclub (auch eine grossartige Szene!) singt sie „Johnny“.
Mamoulian hat diesen Film Garbo gezeigt, um sie zu überzeugen, mit ihm „Queen Christina“ zu drehen – und sie fand ihn anscheinend so gut, dass sie ihn danach auch noch im Kino angeschaut habe. Die Auftritte kann man auch schön vergleichen … und mich dünkt, dass Mamoulian in beiden Fällen Wege findet, die Künstlerinnen so zu inszenieren, wie man sie sonst eher nicht zu sehen kriegt. Den Film mit Garbo finde ich aber unterm Strich ein ganzes Stück besser.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba