Startseite › Foren › Kulturgut › Für Cineasten: die Filme-Diskussion › Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) › Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)
1980 adaptiert Jacques Demy fürs Fernsehen La Naissance du jour (FR, 1980), den gleichnamigen Roman von Colette. Dass „Le bel indifférent“ (die Filmrechte hatte Cocteau ihm geschenkt, nachdem Demy sich mit Jean Marais angefreundet und so mit Cocteau bekannt wurde) auf derselben DVD landete, ist schon stimmig, denn auch „La Naissance du jour“ ist eigentlich ein Monolog. Colette (1873-1954) verbringt den Sommer des Jahres 1927 in einem Haus in Saint-Tropez, La Treille-Muscate – wo Demy 53 Jahre später auch tatsächlich drehen konnte. Sie denkt über ihre verstorbene Mutter nach, liest deren Briefe, verbringt ihre Nachmittage und Abende mit ein paar oberflächlichen Künstlerfreund*innen, mit denen sie vormittags auch zum Strand geht, lässt sich von diesen auch mal zum Tanz mitnehmen, obwohl sie doch am liebsten in der Ruhe ihres Garten sitzen würde. Ein junger Mann (Jean Sorel) umschwirrt sie – dass er ihr Liebhaber ist, braucht der Film die längste Zeit gar nicht erst zu sagen, klar ist es doch. Colette erinnert sich an ihre Männer, denkt über ihr Leben, ihre Unabhängigkeit nach – beschliesst, ihren Liebhaber mit einer jüngeren Frau (Dominique Sanda) zu verkuppeln, das die liebe Ruhe und Routine etwas stört.
Danièle Delorme wird buchstäblich zu Colette, ihre Stimme aus dem Off geht manchmal direkt in Dialoge über, die ins Bild gesetzt werden. Neben der Villa und dem Garten spazieren wir mit Colette durch Schilf, aber auch durch Blumen und Kräutersträucher ans Meer, fahren ein paar Mal im Auto mit, wenn sie Besorgungen in der Gegend erledigt. Auf der Tonspur läuft dazu ein Orchesterarrangement von Mendelssohns zweitem Klavierkonzert. Die Stimme von Colette verschmilzt mit der Stimme ihrer Mutter (Orane Demazis als Sido, Sidonie Landoy hiess die Mutter, 1835-1912, und scheint auch schon eine sehr eigenständige und eigenwillige Person gewesen zu sein), das alles wird zu einem inneren Monolog, die anderen Figuren des Films gehören wie die Aussenaufnahmen quasi zum Hintergrundrauschen, vor dem Colette in einen neuen Lebensabschnitt hinübergleitet: sie sagt sich von der Liebe los, beschliesst, ihr Glück seit fortan nicht mehr von dieser abhängig.
Gemäss Demy stammt restlos jeder Satz des Films aus dem Buch. Der Film ist grossartig gemacht, kein Kostümdrama, keine Mätzchen, einfach nur Essenz. Die Sprache, die Bilder, die Einstellungen – eine Beiläufigkeit, die doch grösste Verdichtung ist. Wirklich umwerfend! Dass Jacques Demy der „reine de la bisexualité“ (Julia Kristeva über Colette) einen so umwerfenden, ja kongenialen Film widmet, ist bestimmt kein Zufall.
Den Film gibt es auch hier:
https://www.ina.fr/ina-eclaire-actu/video/cpc86000551/la-naissance-du-jour
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba