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Gestern The Pied Piper (GB/US, 1972) von Jacques Demy – eine Adaption des „Rattenfängers von Hameln“ mit Donovan in der Titelrolle, der dann auch gleich den Soundtrack beisteuerte und wohl Ausgangspunkt des Projektes war: ein junger englischer Produzent hatte die Idee, mit Donovan einen Film zu machen – und Demy war natürlich die passende Wahl für die Regie. Es wurde wieder ein Musical (logo), im Cast sind auch John Hurt, Donald Pleasance, Jack Wild und Diana Dors dabei. Eine Truppe von Gauklern, der sich erst ein Pilger und dann der Landstreicher mit der Flöte anschliessen, will nach Hannover, doch dort sei schon die Pest, stattdessen zieht man nach Hameln, wo der Pfeifer die junge Tochter des Bürgermeisters heilt, die mit dem Sohn des Barons verheiratet werden soll. Die Geschichte ist ja bekannt, Demy interpretiert sie recht frei (Drehbuch: Mark Peploe, Andrew Birkin und Jacques Demy), hat allerdings wie es scheint ordentlich Recherche betrieben, um eine möglichst korrekte Darstellung des Mittelalters zu bieten – der die Gauklertruppe einiges mehr an Farbe verleiht, mit Kostümen, gemalten Hintergründen für ihre Aufführungen usw. Bei der Hochzeit führen sie ein Stück über die Verbannung aus dem Paradies auf, kurz bevor die Ratten aus der Hochzeitstorte kriechen … das ist ein dystopischer Film, der an der Oberfläche gar freundlich daherkommt, aber auch wieder tiefer geht. So wird der jüdische Heiler Melius, der – auch im Auftrag des Barons – alchimistische Experimente anstellt, als eine Art rationale Gegenfigur zur Kirche dargestellt, deren Abbildung im Film ein wenig an Monthy Python erinnert (die Sketches liefen gemäss Wiki ab September 1970). Melius wird dann bei lebendigem Leibe verbrannt, während der Rattenfänger mit den Kindern im Gefolge aus der Stadt zieht … Cancel Culture halt, gut abendländische. Bis dahin für mich klar der schwächste Film von Demy, wenngleich er keineswegs schlecht ist und wie üblich mit vielen tollen Details glänzt: zum Beispiel die Fresken in der Burg. Der junge Helfer/Schüler von Melius, gespielt von Wild, natürlich in die Tochter des Bürgermeisters verknallt, möchte Maler werden und will in die Burg, um dort die Fresken zu sehen – die kriegen wir immer wieder zu sehen und sie erinnern eher an Kokoschka als an irgendwas Mittelalterliches. Nach den gedeckten Bankett-Tischen in „Peau d’âne“ (der erste wird dort von einem Platzregen verwüstet), gibt es hier bei der Hochzeit eine recht lange Tisch-Szene und davor schon einige längere Szenen in der Küche, in denen der Sohn des Barons sich an die Mutter seiner Braut (Dors) heranmacht – alles üppig ausgestattet natürlich.
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