Antwort auf: Ranking der Bruce Springsteen Alben

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joliet-jake
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Ich bitte um Nachsicht, wenn das nicht ganz in einen Alben-Ranking-Thread passt.
@annamax – als Entscheidungshilfe (falls nötig) ein paar Zeilen aus Stevie Van Zandt’s Bio „Soulfire“ (Hannibal Verlag, ISBN 978-3-85445-715-2, S. 201-204):

Kapitel 15
Wie Hemingway

1980-1982

„Komm vorbei“, sagte Bruce, „ich habe ein paar Demos für das neue Album aufgenommen.“
Demos? Na, das war mal etwas ganz Neues. Bis jetzt hatten wir die Songs immer erst bei den Proben ausgearbeitet. Nun hatte er sich von Mike Batlin, seinem ersten Gitarren-Roadie, helfen lassen, seine Ideen mit einem Vier-Spur-Gerät festzuhalten.
Die ganze Vorrichtung wirkte bizarr. Dann spielte er mir ein paar der verrücktesten Songs vor, die ich je gehört hatte. Sie waren schlicht und akustisch und erinnerten mich an das erste Mal, als ich Son House, Charley Patton, Robert Johnson oder auch Harry Smiths Folk-Aufnahmen gehört hatte. Ich fühlte mich in eine andere Zeit und an einen anderen Ort transportiert.
Ein bisschen wie Thunder Road. Der Film, nicht der Song. Plötzlich sah ich mich Seite an Seite mit Robert Mitchum, wie wir gemeinsam die unbefestigten Bergstraßen von Tennessee und West Virginia unsicher machten und Polizeikontrollen auswichen. Richtig spannend eben.
Die Songs fühlten sich so authentisch an, dass ich ganz vergaß, dass da mein Freund vor mir saß. Doch natürlich entsprangen sie seinem Innersten. Er verkörperte sie. Doch handelte es sich dabei um einen neuen Bruce. Oder vielleicht auch einen alten Bruce, der sich nun zum ersten Mal zu erkennen gab.
Der Unterschied bestand nicht im Songwriting, sondern in der schauspielerischen Darbietung. Jeder Sänger ist ja bekanntlich ein Schauspieler – ganz egal, ob er es selbst weiß oder nicht. Schlagartig war Bruce nun zu einem sehr guten Schauspieler geworden. Er fungierte nicht länger als Erzähler, sondern er verkörperte diese Songs auf eine völlig glaubwürdige Art und Weise.
Nachdem ich zugehört hatte, gab ich mich dieses Mal nicht wie sonst überschwänglich und steuerte auch nicht meinen Senf bei. Stattdessen schwieg ich. Das beunruhigte Bruce.
„Was ist los?“, fragte er.
Ich musste meine Worte weise wählen, denn es war ein bedeutungsschwangerer Moment für mich. „Nun ja, ich kann dir nur eins sagen“, eröffnete ich ihm. „Das ist ein Album. Nicht nur das. Es ist ein verdammt großartiges Album! Ich habe noch nie etwas in dieser Art gehört. Es erinnert mich an Feldaufnahmen.“
Ich nannte ihm ein paar Namen. Harry Smith, Don Law, Alan Lomax. Er lachte.
„Was meinst du damit? Das sind bloß die Demos für …“
„Yeah, schon verstanden“, unterbrach ich ihn. „Du hast geglaubt, dass es sich hier bloß um Demos handeln würde. Das macht diese Aufnahmen zur persönlichsten, intimsten Platte, die du jemals herausbringen wirst. Oder sonst jemand. Diese Songs müssen veröffentlicht werden.“
Er war ehrlich überrascht.
„Naja, gut … wow!“, sagte er irgendwann.
Ihm wurde offensichtlich klar, dass er sich seine Songs noch einmal intensiver zu Gemüte führen müsste – und zwar in einem völlig neuen Kontext. Nicht länger als Übung, mit der er seine Freunde unterhalten wollte, sondern als potenziell fertiges Machwerk.

Alle anderen in der Band und in seinem Umfeld glaubten, ich hätte den Verstand verloren. Auf Grundlage der Erfahrung mit den vorigen beiden Alben dachten sie, dass erst noch 100 weitere Songs folgen müssten, bevor ein Album langsam Gestalt annehmen würde. Wir versuchten sogar, wenigstens ein paar dieser „Demos“ als Band einzuspielen.
Gleichzeitig begann Bruce, noch mehr Songs abzuliefern. Vielleicht schickte ihm aber auch zuerst der Regisseur Paul Schrader ein Drehbuch mit dem Titel Born in the USA, um ihn zu bitten, doch einen Titelsong dafür beizusteuern.
Als er die Band hinzuzog, um ein Demo aufzunehmen, begriff Bruce, dass er auf etwas Besonderes gestoßen war. Die anderen Nummern – jene, bei denen es sich nicht um die sogenannten Demos handelte – orientierten sich weiterhin am „Live-Sound“, der uns mit The River geglückt war. Das funktionierte so gut, dass wir es bis auf die Spitze trieben – und das Album live aufnahmen. Wenn ein Gesangspart schief war, nahm die ganze Band den ganzen Song noch einmal auf.
Irre? Ja.
Sinnlos? Nicht wirklich!
Je weniger gut etwas eingeübt war, desto urwüchsiger klang es eben. Ich arbeitete im Verlauf zweier Wochen nun an 14, 15, vielleicht sogar 16 Songs. Ohne jegliche Overdubs. Für das Mandoline-Solo bei „Glory Days“ schnappte ich mir mitten im Song das Instrument und hielt es vor mein Gesangsmikrofon.
Je mehr die Arbeit der Band voranschritt, desto mehr wurden auch die sogenannten Demos als separates Album ernstgenommen. Zumindest von Bruce. Das hieß, dass schon bald alle mit an Bord waren. Somit hatten wir einerseits die Grundzüge des elektrischen Nachfolge-Albums zu The River fixiert und andererseits ein fertiges akustisches Album jenes Appalachen-Folk-Sängers, den John Hammond einst unter Vertrag genommen zu haben glaubte.
Hammond hatte sich 1975 von Columbia in den Ruhestand verabschiedet, weshalb Bruce und Jon nun den beiden aktuellen Label-Chefs, Walter Yetnikoff und Bruce Lundvall, Bericht erstatten mussten. Sie zogen eine ganz clevere Nummer ab und erklärten, sie hätten eine gute und eine schlechte Nachricht. Dann spielten sie ein paar Tracks, die die ganze Band aufgenommen hatte. Vielleicht „Born in the USA“ und „Glory Days“.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die beiden wie Christbäume um die Wette strahlten – mit Dollarzeichen in den Augen. Lundvall sagte mit seiner lieblichen Stimme bestimmt: „Das ist ja wunderbar!“
„Genau die richtige Platte zur richtigen Zeit“, bellte Yetnikoff seine Zustimmung. Vermutlich.
Jon musste dann erklären, dass die Rock-Scheibe erst erscheinen würde, wenn das Label die andere Platte veröffentlichte hatte. Dann spielte er ihnen Nebraska vor. Ich hätte ja so gerne die Gesichter der Bosse der größten Plattenfirma der Welt gesehen, deren Jobs ständig in der Schwebe hingen, wie sie sich das Album anhörten. Wie ihr wichtigster Act, nur von einer Akustikklampfe begleitet, darauf in die Rolle eines Serienkillers schlüpfte, der durch die gefrorene Tundra von Oklahoma pirschte und dabei jodelte wie ein besoffener Dämon, der zu viel vergifteten Whiskey getrunken hatte.
Zum Schießen!
Nehmt dies, ihr Erbsenzähler!
Bruce und Jon zogen ihr Manöver durch – und ich bin stolz darauf, die Solo- Folk-Seite von Bruce gefördert zu haben, die ich vermutlich als Allererster damals in seinem Zimmer in Freehold zu Gehör bekam. Dieser Aspekt von Bruce sollte nun ein in unregelmäßigen Abständen wiederkehrender Teil seiner Karriere werden. Ich freute mich darüber, obwohl ich mir damit eigentlich ins eigene Fleisch schnitt.
Die Platte gehört zu den kompromisslosesten und unkommerziellsten Platten, die je ein bedeutender Act veröffentlicht hat. Sie war der Garant dafür, dass seine Würde und Glaubwürdigkeit für immer intakt und unangetastet blieb.

(Text per OCR aus Scan)

Die Nebraska muß man haben. Komplett anders, aber eins der wichtigsten Springsteen-Alben.

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