Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Das hier ist ein Vaughan-Paket, um das ich schon länger kreise – vor ein paar Wochen liefen stets spät Abends Auszüge daraus:

So ganz dahinter kam ich nicht, aber das liegt hier bestimmt auch an der Form, die für das abgebildete 2-CD-Set von 2013 in Session-Reihenfolge umgebaut ist … wogegen ich ja nichts einzuwenden habe, ist dann halt aber als „Album“ schon etwas schwierig. Los geht es mit sechs Stücken von einer zuvor unveröffentlichten Session vom 13. August 1979 mit Arrangements von Benny Carter – was natürlich per so schon mal super ist. Es gibt eine grosse Band mit Streichern, Hörnern, Harfe, Bill Green an reeds und Flöte, Jimmy Rowles, John Collins, Andy Simpkins und Grady Tate, Zoot Sims ist als Solist am Tenorsax dabei, Buddy Collette wirkte als „contractor“, Carter hat arrangiert und dirigiert. Angeblich hat Vaughan für die Session deswegen kein grünes Licht gegeben, weil Carter sich weigerte, ihren damaligen Ehemann, Trompeter Waymon Reed, ebenfalls als Solisten zu featuren (steht im Booklet, das bei Discogs komplett vorliegt, auf Seite 5 ganz oben). Neben grossen Klassikern („Sophisticated Lady“, „In a Sentimental Mood“, „Lush Life“, „Solitude“ und „Day Dream“) gibt es auch eine rarere Nummer („Tonight I Shall Sleep (With a Smile on My Face)“). Die Arrangements sind super, Sims und Rowles glänzen, Vaughan ist klasse … schade, dass das damals nicht erscheinen konnte! Sims hat es irgendwie drauf, in einer Phrase fast wie der reife Stan Getz zu klingen, und in der nächsten den so anderen Sound von Ben Webster heraufzubeschwören.

Zwei und drei Tage später (am Tag der Pause dazwischen nahm Sims das ebenfalls von Carter arrangierte eigene Ellington-Album „Passion Flower“ auf) war man erneut im Studio, jetzt mit einer Combo aus Reed, J.J. Johnson, Sims und Frank Wess (beide ts), Rowles, Joe Pass, Simpkins und Tate. Und schon wurden neue Takes von „Sophisticated Lady“, „Solitude“ (Johnsons Obbligato ist umwerfend – er lässt sein Instrument beinah vokal werden, aber eben doch nicht – er ist ja schliesslich J.J. Johnson, der eleganteste Posaunist aller Zeiten) und Day Dream“ mit einem schönen Solo von Reed an der offenen Trompete (15. August) eingespielt, und am Tag drauf (ohne Johnson und Sims) dann zwei neue Stücke, „All Too Soon“ (mit Wess, der den Part von Webster übernimmt, der dabei war, als Vaughan den Song 1947 erstmals aufnahm) und „What Am I Here For?“ (mit Reed an der gedämpften Trompete). Letzteres ist eins meiner liebsten Stücke von Ellington, zumindest instrumental. Die Lyrics schrieb viel später Frankie Laine, doch Vaughan singt sie am Ende nicht wie geschrieben sondern wiederholt statt der letzten Zeile noch einmal die erste – womit die Frage unbeantwortet bleibt.

Am 27. August war Vaughan wieder im Studio, mit Reed, Johnson, Sims, Wess (ts/fl), Frank Foster (ts), Rowles, Pass, Simpkins, Roy McCurdy und Tate. Oder sitzt Mike Wofford am Klavier, wie die Liner Notes zumindest für „Mood Indigo“ nahelegen? Sonst entstanden bei der Session eine Version von „I’m Just a Lucky So and So“, bei der Reed die alte Ellington-Plunger-Tradition aufleben lässt, „Chelsea Bridge“ (ohne Worte, Vaughan liess sich vom Ton von Johnny Hodges inspirieren) und „I Didn’t Know About You“.

Die zwei folgenden Sessions entstanden in New York am 12. und 13. September 1979 mit einer Big Band unter Billy Byers (u.a. mit Reed, Jon Faddis, Ernie Royal, Urbie Green, Britt Woodman, Foster, Wess, Danny Bank, Wofford, Bucky Pizzarelli und als feste Werte Simpkins und Tate, am zweiten Tag gibt’s dann nur noch Reed, Wess, Bank und Eddie Daniels, die Rhythmusgruppe und zudem einige Streicher). Je vier Stücke wurden aufgenommen, „I Let a Song Go Out of My Heart“, „Black Butterfuly“ (wahnsinnig schön!), „In a Mellow Tone“ und „It Don’t Mean a Thing (If It Ain’t Got That Swing)“ am ersten, neue Versionen von „In a Sentimental Mood“, „Lush Life“ und „Tonight I Shall Sleep“ sowie an dritter Stelle „I Got It Bad (And That Ain’t Good)“ am zweiten Tag. Die Remakes finde ich von den Arrangements her weniger interessant als die Carter-Versionen – aber es gibt auch hier zahlreiche Highlights, z.B. Vaughans Gesang in „I Got It Bad“, wo auch Reed an der offenen Trompete ein schönes Solo beisteuert. Und Wofford macht am Klavier einen hervorragenden Job.

Zurück in Hollywood folgt im Januar eine Session, bei der ein einziges Stück aufgenommen wird, und zwar mit einer Blues-Band: Eddie „Cleanhead“ Vinson spielt Altsax und singt mit Vaughan in „Rocks in My Bed“, Lloyd Glenn, Pee Wee Crayton, Bill Walker und Charles Randall vervollständigen die Band.

Abgeschlossen wurden die Aufnahmen einen Tag später erneut in Hollywood mit Mike Wofford und Joe Pass, im intimen Trio also, wie Vaughan in ihrer Roulette-Zeit es schon in zwei anderen Besetzungen (Jimmy Jones und Harry Edison auf „The Divine One“, Barney Kessel und Joe Comfort auf „Sarah + 2“) mit maximalem Effekt genutzt hatte.

Tolle Aufnahmen, die vielleicht wirklich besser nicht am Stück gehört werden sollten … keine Ahnung, da gibt es ja unterschiedliche Wege. Auf den ursprünglichen LPs fehlen halt die sechs schönen Carter-Arrangements, es gibt stattdessen nur die Combo- und Byers-Remakes. Die meisten Combo-Stücke plus die Hälfte der Big-Band-Stücke finden sich auf dem ersten Album, ein paar Combo-Stücke, die drei im Trio und die zweite Hälfte der Big-Band-Stücke landeten auf Album Nummer 2.

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