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@zoji
Danke, gleichfalls.
Mit seiner Anziehungskraft auf Frauen habe ich mich noch nicht beschäftigt, dazu kann ich nichts sagen.
Ob er in oder auch jenseits von Partnerschaftsbeziehungen dominant auftritt weiß ich nicht. Er ist halt einer der wenigen Bluesmusiker, der ausgesprochen politisch und geschichtsinteressiert auftritt. Die beiden ersten, mir unbekannten Alben heißen Blue Eyed Monster und When Negroes Walked The Earth, die Titel sind schon Statements. Ein Song handelt von einem vergessenen afroamerikanischen Rennradfahrer, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Toure de France gewann. Ein weiterer behandelt den Tod eines Säuglings, dessen Aufnahme in verschiedenen Krankenhäusern verweigert wird. Wer nimmt sich schon solcher Themen an. Ich muss zwar leider dazu sagen, dass mein Englisch lausig ist und ich selten auf Texte achte, aber wenn schon nicht die Feinheiten, dann bekomme ich die Inhalte wenigstens grob mit. Und wenn ein Künstler sich so ausgiebig mit den Ungerechtigkeiten der Welt beschäftigt, zumal wenn sie ihn unmittelbar betreffen, kann man wohl eine Menge gerechten Zorn erwarten. Aggressiv im Sinne von bedrohlich scheint er mir allerdings auch nicht, er ist weder Zyniker noch von Hass zerfressen.
Musikalisch hat er tatsächlich auch seinen ganz eigenen Ausdruck gefunden, er selbst nennt das Trance Blues. Natürlich rekurriert er auf verschiedene Bluestraditionen, findet aber tatsächlich Wege, die noch kein anderer gegangen ist und ja, die führen auch mal über Blues hinaus. Ich nehme ihn sowohl musikalisch wie inhaltlich als Solitär wahr, und denke, dass das auch seinen Crossover-Erfolg erklärt. Also Erfolg vergleichsweise, für einen Bluesmann halt. Der einzige aktuelle weitere, von dem ich mal mitbekommen habe, dass er sogar dem einen oder anderen Blues-Hater gefällt, ist Seasick Steve. Das lag aber vielleicht auch daran, dass der zeitweise in … ich glaube Dänemark lebte, und daher im nordeuropäischen Raum recht präsent sein konnte.
Habe mir mal White African angehört. Das ist in der Tat alles andere als behaglich. Eher ein böser Traum, in dem all die Sünden und Verletzungen der Vergangenheit verarbeitet werden. Das tut manchmal richtig weh – dafür muss man die Texte auch nicht im Detail verstehen. Das teilt sich zum großen Teil schon über die Musik mit.
Dagegen sind Fantasizing … und Hey Joe … fast milde geraten. Musikalisch finde ich alle 3 Alben beeindruckend. Nicht nur am Blues-Idiom klebend, sondern aus einem viel breiterem Spektrum von Americana schöpfend. Und der Klang von Otis Taylors Stimme trägt sehr viel zur Wirkung seiner Musik bei. Die Reaktion meiner Gefährtin auf die ersten zwei Zeilen aus OTs Mund war völlig spontan und unbelastet. Ohne irgendeine Ahnung zu haben, wer und was das ist, und wovon OT singt. Er hat etwas „bärenartiges“, kraftvoll und souverän wirkend. Und seine Physiognomie passt dazu. Das beeindruckt Mann wie Frau.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)