Antwort auf: Rammstein

#12094909  | PERMALINK

nicht_vom_forum

Registriert seit: 18.01.2009

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bullschuetz3. Die hier immer wieder implizit oder explizit anklingende Idee, dass Medien mit der Berichterstattung warten sollten, bis die Justiz den Fall eingeordnet, geklärt und gegebenenfalls abgeurteilt hat, ist gründlich zurückzuweisen. Wieviele Skandale unaufgedeckt geblieben wären, wenn Journalisten so ein devotes und obrigkeitshöriges Selbstverständnis gehabt hätten, lässt sich gar nicht seriös abschätzen. Wenn Reporter ihren Job nur in der nachvollziehenden Chronistenaufbereitung juristischer Vorgänge sähen, wäre der investigative Journalismus und damit etwas für die Demokratie sehr Wichtiges am Arsch.

[…]
Der Form und Sicherheit halber weise ich trotzdem darauf hin, dass mir in meinem Post nicht nur ein entscheidender Punkt (1) am Herzen liegt, sondern mir die Punkte 2 und 3 nicht weniger wichtig sind.

Ich würde diesen Punkt auch auf die allgemeine Diskussion ausweiten. Mir ist nicht klar, weshalb hier von einigen Leuten so auf die (Nicht-)Strafbarkeit von Lindemanns Verhalten abgehoben wird. Wenn das zum einzigen Kriterium wird, führt das zum einen zu einem immer engeren Korsett an Gesetzen[1], zum anderen zwingt es den Staat dazu, bei dem dann strafbaren Verhalten auch entsprechend zu ermitteln und immer mehr in die Privatsphäre der Bürger einzudringen. Kurz: Das führt direkt in den Obrigkeits- und Polizeistaat, der die Moralvorstellungen einiger weniger Personen mit der Möglichkeit, die Gesetzgebung zu beeinflussen, umsetzt. Die öffentliche Diskussion über nicht strafbares Verhalten[2] mag zwar manchmal entgleisen, aber sie ist geradezu ein Kernbestandteil einer freien und offenen Gesellschaft, in der die Bürger selbst aushandeln, was akzeptabel ist und was nicht.

[1] siehe die dauernden Diskussionen zu vermeintlichen „Strafbarkeitslücken“
[2] und das gesellschaftliche Sanktionieren durch, beispielsweise, Boycott, „Canceln“ usw.

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